Der Mann, der den Regen träumt
Meinung geändert – oder besser gesagt, er.«
»Und wer ist er?«
»Er heißt …« Elsa zögerte. Sie war kurz versucht, Kumulonimbus zu sagen. »Er heißt Finn.«
»Und was macht er so?«
»Er, na ja, er macht mich glücklich.«
»Gut. Gut. Das klingt ja sehr geheimnisvoll. Aber das muss es wohl auch, wenn er es geschafft hat, deinen Widerstand gegen das Verlieben zu brechen.«
»Na ja, du und Dad wart in der Hinsicht auch nicht gerade die besten Vorbilder, Mum.«
Ihre Mutter antwortete nicht gleich und Elsa krümmte sich innerlich zusammen und wünschte, sie hätte den Mund gehalten. Es war so leicht, wieder in die alten Muster zu verfallen.
»Am Anfang habe ich deinen Vater sehr geliebt, aber bei dieser ganzen Sturmjägerei war ich mir nie ganz sicher, ob er nicht doch irgendwo eine andere Frau sitzen hatte. Und du magst es vielleicht nicht glauben, aber bevor du auf die Welt kamst, war ich die Wunderlichere von uns beiden, die ständig irgendwelchen Unsinn machte.«
»Ich weiß. Ich habe mich nie dafür bei dir bedankt, dass du so für mich zurückgesteckt hast.«
»Sei nicht albern, meine Liebe, natürlich hast du das.«
»Das ist sehr nett von dir, aber ich weiß, dass ich es nicht getan habe.«
»Manche Dinge muss man eben nicht aussprechen, um sie zu meinen.«
»Trotzdem … danke.«
Ihre Mum putzte sich abermals die Nase, ein Explosion aus Schnauben und Japsen, was über die Langstreckenverbindung ziemlich gruselig klang.
»Und«, meinte Elsa, als sie sich beide wieder gesammelt hatten, »willst du mich nicht vielleicht fragen, wo ich bin?«
»Das darf ich doch bestimmt gar nicht, oder?«
»Ach, Mum, tut mir so leid. Ich … ich brauchte einfach …«
»Ich weiß. Du musst mir nichts erklären.«
»Na ja, du kannst jedenfalls immer anrufen, wenn dir danach ist.« Dann gab sie ihrer Mutter ihre Telefonnummer und Adresse und erzählte ihr von Thunderstown und Kenneth Olivier und den vier Bergen und schließlich, irgendwann, wieder von Finn, obwohl sie zu diesem Thema nicht mehr viel sagen konnte.
* * *
Als Elsa ihr Telefongespräch beendete, war die Sonne schon auf gegangen und der Wind peitschte über die Berge und trieb eine kleine Herde weißer Wolken über hohe Himmelsweiden. Sie zog ihre Sneakers an und ging aus dem Haus, den leise raschelnden Drachen unter dem Arm.
Sobald Finn die Tür der Kate öffnete, warf sie sich ihm entgegen und schlang die Arme um ihn. Sie schmiegte den Kopf an seinen Hals, lauschte den leisen Schluckgeräuschen in seiner Kehle und, darunter, seinem Atem, dem An- und Abschwellen seiner Brust. Überrascht erwiderte er ihre Umarmung. Ihre Körper fügten sich ineinander wie auseinandergedriftete Kontinente.
Nach einer Weile trat sie einen Schritt zurück, um ihn anzusehen. »Ich habe uns etwas mitgebracht«, verkündete sie und reichte ihm den Drachen.
Finn nahm ihn aus der Verpackung und die Schleifchen funkelten, als er den Schweif auseinanderschüttelte. Er strich mit der Hand über das glänzende Material.
»Ich dachte, wir lassen ihn zusammen steigen.«
»Aber ich weiß gar nicht, wie das geht.«
»Dann zeige ich es dir.«
Windböen wehten vom Berggipfel herab, wirbelten Laub und Staub auf und pfiffen durch das Mauerwerk der Kate.
»Das Wetter ist perfekt dafür.«
Er beugte sich vor und küsste sie. »Dann lass uns gehen.«
Weiter oben auf dem Old Colp stieg der Fels nur sanft an und wich schließlich Wiesen voll dunkelgrünem, buschigem Gras und trockenem Farnkraut, das sich zu Kugeln zusammengekrümmt hatte. Finn führte Elsa auf eine weite Ebene, durchsetzt von Mohnblumen, die – zumindest bislang – von den Ziegen unbemerkt geblieben waren. Ihre leuchtend roten Köpfe nickten in der Brise und das Gras teilte sich unter den Böen wie ein wogendes Meer.
»Es ist ganz leicht«, erklärte Elsa, als sie schließlich nebeneinanderstanden und der Wind ungeduldig an ihrem Haar zupfte. »Wir nehmen jetzt jeder eine Ecke und ich halte außerdem noch die Leinen. Dann rennen wir los, so schnell wir können, und wenn ich ›Jetzt‹ rufe, werfen wir den Drachen in die Luft. Kapiert?«
Finn nickte konzentriert und griff nach einer Ecke des Drachens. Elsa warf ihm einen Blick zu und lachte auf, als sie sah, wie ernst er die ganze Sache nahm, dann rief sie: »Los!«
Und sie rannten durch das trockene Gras, im Rücken den Wind, der mit ihnen zu laufen schien. Das Material des Drachens knisterte wie ein kleines Feuerwerk, das jeden Moment in die Luft
Weitere Kostenlose Bücher