Der Mann, der den Zügen nachsah
daß ich nicht ein anderer Herr de Coster bin?«
Dessen ungeachtet meldete der Portier am Telefon:
»Hallo!… Mademoiselle Pamela?… Hier ist ein Herr, der von Herrn de Coster kommt. Soll ich ihn hinauf lassen?«
Der Hotelboy, der den Fahrstuhl bediente, fand nichts Ungewöhnliches dabei.
Pamela, die sich gerade vor dem Spiegel frisierte, rief in ganz unpersönlichem Ton »Herein!«. Dann wandte sie sich um, denn sie hatte nur gehört, wie die Tür aufging und sich wieder schloß, ohne daß jemand etwas sagte.
Sie erblickte Kees Popinga, die Aktentasche unterm Arm, Hut in der Hand, und sagte lässig:
»Wenn Sie bitte Platz nehmen wollen…«
Worauf er erwiderte:
»Vielen Dank… Nein…«
Sie befanden sich in einem der hundert und mehr gleichartiger Appartements, die das Carlton enthält. Eine offenstehende Tür zu dem Badezimmer. Auf dem Bett ausgebreitet prangte ein Abendkleid.
»Hat de Coster Ihnen etwas für mich aufgetragen?… Sie erlauben, daß ich mich weiter frisiere? Ich bin schon spät dran… Wieviel Uhr ist es eigentlich?«
»Halb neun… Sie haben noch Zeit…«
Damit legte er seine Aktentasche und seinen Hut ab, zog seinen Mantel aus und probte ein Lächeln vor dem Spiegel.
»Sie werden sich meiner gewiß nicht erinnern, aber ich habe Sie oft in Groningen gesehen… Ich könnte sagen, daß ich mich zwei Jahre lang nach Ihnen gesehnt habe… Und erst gestern haben wir, Julius de Coster und ich, von Ihnen gesprochen, und da bin ich nun…«
»Was soll das heißen?«
»Sie verstehen nicht? Ich bin gekommen, weil die Situation sich verändert hat, seit Sie in Groningen waren.«
Er war näher getreten, stand nun neben ihr, und das störte sie; dennoch blieb sie weiter mit dem Ordnen ihrer dunklen Haare beschäftigt.
»Es würde zu weit führen, Ihnen alles zu erklären… Wichtig ist nur, daß ich entschlossen bin, ein Stündchen mit Ihnen zu verbringen…«
Als er hinausging, war er womöglich noch um einige Grade ruhiger. Fünf Etagen waren hinunter zu gehen, und er hatte nicht den Fahrstuhl genommen. Erst ganz unten stellte er fest, daß er seine Aktentasche im Zimmer von Pamela vergessen hatte, und er fragte sich, ob der Portier es bemerken würde.
Er war scharfsichtig genug, denn er bemerkte den Blick des Mannes auf seine leeren Hände!
»Ich habe meine Aktentasche oben gelassen«, sagte er im Ton völliger Gleichgültigkeit. »Ich werde sie mir morgen abholen.«
»Wollen Sie nicht, daß ich den Boy hinaufschicke?«
»Danke! Es lohnt nicht der Mühe, nicht wahr?«
Er machte eine etwas ungeschickte Handbewegung, aber das lag daran, daß er sich in Grandhotels nicht so auskannte; er nahm eine Viertelgulden-Münze aus der Tasche und reichte sie dem Portier.
Zehn Minuten später war er am Bahnhof. Einen Schnellzug nach Paris gab es erst um elf Uhr sechsundzwanzig, das heißt in ungefähr zwei Stunden, und er vertrieb sich die Zeit, indem er auf den Bahnsteigen umherspazierte und die haltenden Züge betrachtete.
Um Punkt viertel vor elf an diesem Abend kam eine
kleine Tänzerin, die sonst immer mit Pamela fortging, ins Carlton und fragte:
»Ist sie noch nicht herunter gekommen? Ich warte schon eine ganze Stunde im Restaurant.«
»Ich werde zu ihrem Appartement hinaufrufen.«
Der Portier versuchte es einmal, zweimal und dreimal, dann meinte er bekümmert:
»Aber ich habe sie auch nicht hinausgehen sehen!«
Er rief den Boy, der gerade vorbeikam.
»Lauf schnell hinauf und sieh nach, ob Mademoiselle Pamela vielleicht eingeschlafen ist.«
Popinga auf den Bahnsteigen zeigte sich nicht im geringsten ungeduldig. Im Warten auf seinen Zug spazierte er umher und amüsierte sich damit, die vorbeikommenden Reisenden genau zu betrachten.
Der Boy kam taumelnd die sechs Stockwerke heruntergerannt, warf sich in einen Sessel und brüllte:
»Schnell… Da oben…«
Er hatte den Fahrstuhl mit offener Tür oben stehen lassen, so daß man zu Fuß über die Treppen hinauflaufen mußte. Pamela lag quer auf ihrem Bett hingestreckt, um das Gesicht ein geknotetes Handtuch wie eine Art Knebel. Der Direktor mußte benachrichtigt, nach einem Arzt mußte telefoniert werden. Als dann die Polizei ankam, war es halb zwölf, und der Zug nach Paris war soeben abgefahren.
Diesmal war es einer von den richtigen Nachtzügen, wie Kees sie in seinen Träumen sah, ein Zug mit Schlafwagen, die Vorhänge vor den Fenstern der
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