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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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tausendfach überlegen!
      Zweifellos würde er in jeder beliebigen Zeitung neue Informationen über sich finden. Vielleicht würde man noch einmal sein Foto bringen? Er wurde von der Polizei gesucht! Die Menschen erbebten vor Angst bei der Vorstellung, daß der berühmte Satyr von Amsterdam in ihrem Umkreis auftauchen könnte!
      Und er? Verließ in aller Ruhe sein Versteck, nahm ein Billett zweiter Klasse, wartete auf seinen Zug und würde in Paris aussteigen, wo der Kommissar Lucas die Fahndung leitete.
      Bewies das nicht, daß er stärker war und gewitzter als sie alle? Es würde noch besser kommen: Er würde nämlich Jeanne Rozier aufsuchen, eben weil das gefährlich war und das einzige, was er nicht tun sollte.
      Außerdem hatte er das Bedürfnis, sie zu sehen. Es gab zwischen ihnen einiges, das noch nicht geklärt war.
      Der Zug lief in den Bahnhof ein. Der Zufall wollte es, daß er in einem Abteil Platz nahm, in dem zwei Frauen vom Lande, dunkel gekleidet, über die Ereignisse in ihrem Dorf schwatzten, über die Krankheiten der Nachbarinnen und wer im letzten Jahr gestorben war.
    Bescheiden in seiner Ecke sitzend, betrachtete er die beiden, und es kam ihn die Lust an, die Tollheit zu begehen und ihnen aus heiterem Himmel zu erklären:
      »Darf ich mich vorstellen: Kees Popinga, der Satyr von Amsterdam!«
      Nein, er tat es natürlich nicht! Aber der Gedanke beschäftigte ihn noch mehrmals. Mit boshaftem Vergnügen malte er sich die Szene aus, die dann folgen würde. Dessen ungeachtet war gerade er in Paris seinen Reisegefährtinnen mit ihrem Gepäck behilflich und konnte sich eines ironischen Lächelns nicht erwehren, als er wohlerzogen ein »Gern geschehen!« murmelte.
      Im Grunde hatte er jetzt das, was er immer schon wollte: allein und auf sich gestellt sein, als einziger wissen, was er wußte, als einziger diesen Kees Popinga zu kennen und sich in der Menge zu bewegen, zwischen den Leuten einherzugehen, die ihn streiften, ohne etwas zu ahnen, und sich über ihn irgendwelche dummen, immer falschen Gedanken machten.
      Für die beiden Frauen im Zug war er ein höflicher Mensch, wie man ihn heute kaum noch trifft. Für Rose… zugegeben, sie hatte nicht ausdrücklich gesagt, was sie dachte, aber er war überzeugt, daß sie ihn falsch einschätzte, weil es ihr an Einbildungskraft fehlte.
      Er war glücklich, wieder in Paris zu sein – in diesem Paris mit seinen Autobussen, seinen Taxis und den vielen Menschen, die in allen möglichen Richtungen zu Gott weiß welchem gar nicht existierenden Ziel unterwegs waren. Er hingegen hatte Zeit. Das Picratt’s schloß nie vor drei oder vier Uhr morgens und Jeanne Rozier, vorausgesetzt sie verließ das Lokal allein, würde frühestens gegen viertel nach drei bei sich zu Hause sein.
      Es war schon kurios, daß Kees die Gelegenheit nicht ausgenutzt hatte, als sie sich ihm bot, buchstäblich in seinem Bett! Und jetzt dachte er ständig an sie…
    Aber da war ein Unterschied! Jetzt, da sie Bescheid
    wußte, hatte er das Bedürfnis, ihr seine Überlegenheit zu zeigen, ihr Angst zu machen, denn sie war zu intelligent, ihn so plump abzuweisen wie Rose.
    Da er in der Zwischenzeit nichts zu tun hatte, sprach er
    einen Polizisten an und fragte ihn nach dem Amtssitz der Kriminalpolizei. Das war, wenn überhaupt, eine berechtigte Neugier! In allen Zeitungen, wo von ihm die Rede war, wurde die Kriminalpolizei erwähnt und Kommissar Lucas! Es befriedigte ihn, den Quai des Orfèvres zu entdecken und über einer schlecht beleuchteten Tür die Inschrift »Kriminalpolizei« zu entziffern. Noch lieber hätte er den Kommissar in Person gesehen, aber das war schon schwieriger.
      Er begnügte sich damit, eine gute Weile auf dem Mäuerchen des Seine-Ufers zu sitzen und auf die drei Fenster im ersten Stock zu blicken, die noch erleuchtet waren. Im Hof jenseits des Portikus warteten zwei Polizeiautos und ein Gefängniswagen.
      Nur zögernd entfernte er sich. Er wäre gern hineingegangen, um alles noch näher zu sehen. Auf der Place Saint-Michel wandte er sich noch einmal um, und dann fragte er wieder gerade einen Polizeibeamten, wo es nach Montmartre ginge. Auch wenn es gar nicht nötig gewesen wäre, hätte er danach gefragt, nur um des Vergnügens willen, einen Polizisten anzusprechen. Denn das bestätigte ihn in dem Gedanken: »Er ahnt absolut nichts…«
    Er konnte nicht gut bis drei Uhr morgens umherwandern, und so unterbrach er seinen Spaziergang durch

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