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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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was?«
    »Nichts!«
      »Jetzt wo Sie doch alles wissen? Sagen Sie es doch! Jetzt, wo Sie wissen, was mit Pamela geschehen ist?
      Antworten Sie! Wirklich, ich finde das sehr komisch. Seit drei Tagen frage ich mich, was Sie wohl denken…«
    »Die Mühe sollten Sie sich sparen!«
      »Seit drei Tagen sage ich mir: Die ist wenigstens nicht so dumm wie die anderen…«
      »Das mag sein, aber trotzdem werden Sie jetzt verschwinden.«
    »Und wenn ich das nicht tue?«
      Er stand auf Strümpfen; der Kragenknopf drückte gegen seinen Adamsapfel.
    »Dann um so schlimmer für Sie.«
      Aus einer kleinen Kommode hatte sie einen Revolver mit Perlmuttergriff genommen und hielt ihn in der Hand, ohne zu zielen, aber darum nicht weniger beunruhigend.
    »Sie würden schießen?«
    »Ich weiß nicht. Aber wahrscheinlich.«
      »Warum? Ja, ich frage Sie jetzt, warum wollen Sie nicht mehr? Beim ersten Mal war ich es, der nicht gewollt hat.«
    »Ich bitte Sie zu gehen!«
      Sie machte Anstalten, sich unmerklich dem Telefon zu nähern. Ihre Bewegungen waren ungeschickt, verrieten eine Angst, die sie hatte verhehlen wollen. Vielleicht war diese Angst das auslösende Moment, das ihn zum Äußersten trieb. Dennoch vergaß er nicht, seine Rolle weiterzuspielen.
      »Hören Sie zu, Jeanne«, lamentierte er mit gesenktem Kopf, »Sie handeln schlecht an mir, wo ich doch nur Sie habe, die mich versteht, und…«
    »Kommen Sie nicht näher!«
      »Das tue ich nicht, aber ich flehe Sie an, mir zuzuhören und mir zu antworten. Ich weiß, daß Goin und seine Schwester mich der Polizei ausliefern wollten.«
    »Wer hat Ihnen das gesagt?« fuhr sie heftig auf.
      »Ich habe gehört, wie sie darüber sprachen. Ich weiß auch, daß Louis mir mein ganzes Geld abluchsen wollte.«
    »Das ist nicht wahr!«
      »Es ist wahr! Er hat es vielleicht nicht Ihnen, aber er hat es zu Goin gesagt, und der hat es seiner Schwester weitergesagt. Ich habe das Gespräch der beiden belauscht. Ich bin durch das Dachfenster entschlüpft und bin gekommen…«
    Sie schien verwirrt, denn sie war nicht mehr so sehr auf ihre Verteidigung bedacht, sondern blickte nachdenklich zu Boden. Und er, dem nichts von ihrem Gesichtsausdruck entging, fuhr fort:
      »Der Beweis dafür, daß Sie davon wußten und daß auch Sie mich verraten hätten, liegt darin, daß Sie zum Revolver gegriffen haben…«
    »Das war nicht der Grund!«
      Sie hatte rasch den Kopf erhoben zum Zeichen, daß es ihr Ernst war.
    »Also warum dann?«
    »Verstehen Sie mich wirklich nicht?«
    »Soll das heißen, ich mache Ihnen Angst?«
    »Nein!«
    »Also?«
    »Nichts!«
      Es war ihm gelungen, ihr drei Schritte näher zu kommen. Noch zwei Schritte, und er konnte über ihr sein. Schon jetzt war das Los gefallen. Er hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, was er nun tun würde, aber ihm war klar, daß die Dinge jetzt, wie man so sagt, ihren Lauf nahmen.
    »Das hören Sie wohl nicht gern, daß…«
    »Schweigen Sie!«
    »Wenn sie nur nicht so blöd gewesen wäre…«
    »So schweigen Sie doch!«
    In ihrem Unwillen machte sie eine Bewegung, die für einen Moment den Revolver in ihrer Hand für ihn ungefährlich machte. Mit erstaunlich sicherem Blick nutzte Kees das aus. Er stürzte sich auf sie, warf sie auf das Bett zurück und entriß ihr die Waffe. Gleichzeitig, um sie am Schreien zu hindern, drückte er ihr das Kissen aufs Gesicht und legte sich mit seinem ganzen Gewicht darauf. »Schwören Sie, daß Sie nicht rufen werden.«
      Sie wehrte sich. Sie hatte Kräfte. Das Kissen rutschte ab, und da schlug er ihr mit dem Revolvergriff auf den Kopf, einmal, zweimal, dreimal, denn es ging ihm nur darum, daß sie endlich still war und sich nicht mehr rührte.

    Als er sich die Schuhe anzog, nachdem er sich die Hände gewaschen hatte, an denen er Blutspuren bemerkte, war er ebenso ruhig wie nach der Sache mit Pamela, aber diese Ruhe bedrückte ihn, machte ihn traurig. Denn als er fertig war, kauerte er sich vor das Bett, berührte die roten Haare von Jeanne und murmelte:
    »Wie gemein von mir!«
      Erst als er auf der Treppe war, zuckte er die Achseln und tröstete sich mit dem Gedanken:
    »Wenigstens hat das jetzt ein Ende!«
      Er wußte, daß nur er imstande war, das zu verstehen. Was eigentlich ein Ende hatte, hätte er selbst nicht sagen können. Einfach alles, was ihn noch mit dem Leben der anderen verband. Von nun an war er allein, völlig allein, allein gegen eine ganze Welt!
    Für

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