Der Mann, der den Zügen nachsah
stopfte sich die lächerliche Pfeife, die er in Juvisy gekauft hatte.
Mittlerweile war Kommissar Lucas gewiß in der Rue Fromentin, um seine Verhöre anzustellen, die Concierge zu befragen und wahrscheinlich auch die beiden Mieter, die Kees im Treppenhaus begegnet waren. Er hätte sich einen Scherz erlauben können: ihn anrufen und sagen:
Kommissar Lucas? Hier spricht Kees Popinga! Was halten Sie von dem Tip, den ich Ihnen gegeben habe? Sie sehen, daß ich Ihnen zu Pluspunkten verhelfe und daß ich ein fairer Spieler bin…
Aber das war zu gefährlich! Er argwöhnte, daß die Telefonleitungen überwacht werden könnten, was ihn aber nicht hinderte, sich auf seine Weise zu vergnügen. In einem Winkel des Raumes befand sich eine Telefonzelle. Er ließ sich Münzen geben und rief drei Zeitungen an, die lange Artikel über ihn geschrieben hatten. In der Redaktion der dritten verlangte er sogar den Redakteur, der den Artikel mit Namen gezeichnet hatte.
»Hallo!… Kees Popinga hat sich gestern nacht in Paris einen weiteren Überfall geleistet… Sie können sich davon überzeugen, wenn Sie in die Rue Fromentin 13 gehen… Ja… Wie bitte?«
Am anderen Ende der Leitung wiederholte eine Stimme:
»Wer ist am Apparat?… Sind Sie es, Marchandeau?«
Man hielt ihn offenbar für einen der üblichen Informanten des Blattes.
»Aber nein, hier spricht nicht Marchandeau! Hier spricht Popinga! Guten Abend, Monsieur Saladin. Versuchen Sie nicht weiter, Albernheiten über mich zu schreiben, vor allem nicht, daß ich verrückt wäre…«
Er nahm Hut und Mantel, ging die Treppe hinunter und machte sich, immer zu Fuß, zu einem Viertel auf, das er für die Nacht ausersehen hatte, dem Viertel um die Bastille.
Das war das einzige Mittel: nicht nur Restaurant und
Hotel wechseln, sondern die Kategorie wechseln. Er hätte schwören können, daß man ihn, weil er zweimal in Hotels einer bestimmten Kategorie abgestiegen war, immer in Hotels dieser Kategorie suchen würde. Er hätte sogar geschworen, daß Kommissar Lucas diese Nacht in Montmartre die meisten einschlägigen Lokale abklopfen würde.
Wie die beiden jungen Leute beim Schach, die immer wieder den Zug erwarteten, mit dem er sie einmal besiegt hatte!
Also war er entschlossen, bei der Bastille ein Tagesmenü zum Preis von vier oder fünf Francs einzunehmen und in einem Hotel für zehn Francs zu nächtigen!
Hingegen hatte er noch nicht entschieden, ob er allein
schlafen oder, wie schon zweimal zuvor, eine Bettgenossin mitnehmen würde.
Auf dem Wege dachte er darüber nach, während er die Rue Saint-Antoine hinaufging. Er kam zu der Einsicht, daß das ebenso gefährlich, wenn nicht sogar gefährlicher war als der Handkoffer oder die Zigarre. Er sah schon die Hinweise der Polizei voraus, etwa so:
»Hat die Angewohnheit, die Nacht in einem Hotel garni mit einer Zufallsbekanntschaft zu verbringen…«
Und die Polizei würde alle die Orte überwachen, an denen solche Frauen ihrem Gewerbe nachgehen.
»Das wäre also unklug!« entschied er.
Wie es andererseits auch unklug wäre, jeden Tag in einem anderen Lokal Schach zu spielen, denn das würde in seinem Signalement zu der Bemerkung führen: »Verbringt seine Nachmittage mit Schachspielen in den Bierkneipen von Paris und Umgebung…«
So wenigstens hätte er an der Stelle von Kommissar
Lucas die Fahndungsnotiz abgefaßt, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß er Rasierapparat, Rasierpinsel, Rasierseife und Zahnbürste in der Manteltasche mit sich trug.
Sich vorzustellen, daß eine Notiz dieser Art in allen Pariser Zeitungen erschiene…
Er bewegte sich in der Menge an den erleuchteten Schaufenstern entlang und mußte lächeln bei der Vorstellung, welche Folgen eine solche Notiz haben würde.
Zunächst einmal würden in allen Cafés, wo Schach gespielt wurde, die Gäste einander mit argwöhnischen Blicken mustern, und vielleicht würde sogar der Kellner während einer Partie alle Manteltaschen, besonders die der grauen Mäntel, durchwühlen, um sich zu vergewissern, daß sie weder einen Rasierapparat noch einen Rasierpinsel enthielten.
Und die Frauen… Die würden lauter Popingas in ihren Kunden sehen, und Kees war überzeugt, es würde massenhaft Anzeigen geben.
»Das muß nicht sein«, wiederholte er für sich.
Und dennoch war er schon versucht, die Person zu werden, die er soeben skizziert hatte. Er wies diese Versuchung von sich, bemühte sich,
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