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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Rue de Birague ein Hotel entdeckt, das so aussah, als wäre es sehr billig und ohne allen Komfort.
      Der Beweis, daß es ein Hotel von der Art war, wie er es suchte, war die Silhouette einer Frau, die sich knapp fünfzig Meter vom Hotel im Dunkel hielt.
      Sie mitnehmen? Sie nicht mitnehmen? Eigentlich hatte er schon entschieden, daß…
      Aber das war vorläufig ohne Bedeutung. Denn darüber wußte die Polizei noch nichts.
      In Wahrheit nämlich war er des Nachts nicht gern allein und besonders nicht am Morgen beim Aufwachen. Dann blieb ihm nur, sich im Spiegel zu betrachten, seinem Gesicht diesen oder jenen Ausdruck zu geben und sich zu fragen: »Wenn mein Mund etwa so wäre… Oder meine Nase so…«
    Also los! Einmal noch! Nur einmal! Wenn auch nur, um zu wissen, auf welche Sorte von Frauen man in dieser obskuren Rue de Birague gefaßt sein mußte! Mit gleichgültiger Miene, die Hände in den Taschen, ging er vorbei, und genau in dem Moment, da er es erwartete, fragte schüchtern eine Stimme:
    »Kommst du mit?…«
    Er tat, als zögere er, wandte sich um und sah im Schein
    der Gaslaterne ein junges, bleiches Gesicht, ganz in die Länge gezogen, ein viel zu dünnes Mäntelchen, ungekämmtes Haar, das unter einem Käppchen hervorkam.
    »In Ordnung«, entschied er sich.
      Er folgte ihr. Er wußte mittlerweile, wie so etwas vor sich ging. Man mußte an einem Tisch vorbei, an dem eine dicke, behäbige Frau dabei war, sich die Karten zu legen.
    »Auf Nummer 7!« verfügte sie.
    Sieh an! Wieder die 7!
      Es gab keinen Waschraum, sondern nur einen Vorhang vor dem Waschbecken aus Steingut. Ohne seine Begleiterin anzusehen, stellte Popinga bereits seine Rasiersachen ordentlich auf.
    »Bleibst du die ganze Nacht?«
    »Natürlich!«
    »Ah!«
    Das schien sie nicht zu freuen, aber wenn schon!
    »Du bist nicht aus dem Viertel?«
    »Ganz und gar nicht!«
    »Bist Ausländer?«
    »Und du?«
      »Ich?… Ich bin aus der Bretagne«, sagte sie, indem sie ihr Käppchen abnahm. »Wirst du wenigstens nett sein? Warst im Kino, hab dich rauskommen sehen…«
    Sie sprach nur, um zu reden, vielleicht nur zu seiner Unterhaltung, und in der Tat wurde das Zimmer dadurch wohnlich, während er umständlich mit seiner Toilette fortfuhr, sich vergewisserte, daß das Bett einigermaßen sauber war, und sich dann mit einem wohligen Seufzer darauf ausstreckte.
      Auf noch eine andere Person wäre er neugierig gewesen, und zwar auf die Frau von Kommissar Lucas. Was mochte der ihr wohl über ihn erzählen, beim Zubettgehen? Denn irgendwann mußte ja auch er sich schlafenlegen, wie alle Welt!
    »Soll ich das Licht anlassen?«
    Sie war so mager, daß er es vorzog, anderswohin zu blicken.

    8

    Von der Schwierigkeit, sich alter
    Zeitungen zu entledigen, und von
    der Nützlichkeit eines
    Füllfederhalters und einer Uhr

    An jenem Morgen hatte er fast nichts in sein rotes Notizbuch zu schreiben:
       Sie heißt wirklich Zulma. Habe ihr zwanzig Francs gegeben, und sie hat nicht zu protestieren gewagt. Hat geseufzt, während ich mich anzog:
       »Ich wette, du magst die Fülligen lieber. Wenn du was gesagt hättest, hätte ich meine Freundin gebracht.«
    Schmutzige Füße.
      Er notierte auch die Notwendigkeit, sich eine Uhr zu kaufen, denn wenn ihm auch draußen die öffentlichen Uhren und die Uhren in den Cafés genügten, so war er doch des Morgens in Verlegenheit, weil er nicht wußte, wie spät es war.
      So war er denn auch zu seiner Verwunderung schon um acht Uhr draußen, weil er sich durch die laute Betriebsamkeit dieses Viertels von Frühaufstehern hatte täuschen lassen.
      Während Zulma sich in ihrem grünlichen, an den Schultern viel zu weiten Mantel entfernte, ging Popinga auf einen Zeitungskiosk zu und bekam einen leichten Schock.
    In allen Blättern war jetzt von ihm die Rede, zwei- und
    dreispaltig auf der ersten Seite! Wenn man auch kein Foto von ihm brachte, weil man kein anderes als das schon veröffentlichte besaß, so brachte man doch ein Foto von Jeanne Rozier und ihrem Zimmer.
      Er mußte an sich halten, nicht alle Morgenzeitungen auf einmal zu kaufen und nicht in das nächste Café zu stürzen, um sie dort zu lesen.
      Es war schwer, angesichts dieser spaltenlangen Berichte über ihn, mit zweifellos unterschiedlichen Meinungen über seinen Fall, kühles Blut zu bewahren. Leute kamen vorbei, kauften eine Zeitung, nur eine, und stürzten zum Eingang der Metro.
      Er wählte zunächst drei

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