Der Mann, der den Zügen nachsah
es, die in der Weihnachtszeit drei Wagen gestohlen hat, alle im Viertel von Montmartre.
Postieren Sie also in der Nacht heimlich Leute rund um die Autowerkstatt Goin und Boret in Juvisy. Nicht diese Nacht und auch nicht die nächste, denn da wird nichts passieren, weil der Boß der Bande in Marseille weilt. Aber in den darauf folgenden Nächten können Sie mit der Überwachung beginnen. Es sollte mich wundern, wenn Sie nicht noch vor dem 1. Januar damit Erfolg hätten.
Ich beehre mich, Herr Kommissar, Sie meiner vorzüglichen Hochachtung zu versichern.
Kees Popinga
Er überlas noch einmal befriedigt, was er geschrieben hatte, klebte den Umschlag zu, schrieb die Adresse und fragte den Kellner:
»Sagen Sie, wann wird ein Brief, den ich jetzt in den Kasten werfe, zugestellt?«
»In Paris? Morgen früh… Aber Sie können ihn per Rohrpost schicken, dann braucht er weniger als zwei Stunden.«
Es verginge also nicht viel mehr als eine Stunde, bis die dort einiges erfahren würden. Und so schickte er seinen Brief per Rohrpost und entfernte sich dann aus diesem Viertel, denn eigensinnig, wie er war, hatte er Papier mit dem Briefkopf des Lokals benutzt.
Es war vier Uhr. Es war ziemlich kalt und ein feiner Nebel bildete sich um die Gaslaternen. Im Weitergehen kam er an die Seine und zwar genau da, wo er auf sie zu treffen gedachte, das heißt auf der Höhe des Pont-Neuf, über den er hinüberging.
Er ging nicht aufs Geratewohl. Er hatte ein bestimmtes Ziel. Jetzt, nach ausgiebiger Beschäftigung mit seinen Angelegenheiten, hatte er, um sich zu entspannen, Lust auf eine Schachpartie.
Doch wo hätte ein Fremder, der eben in Groningen angekommen war und dort keinen Menschen kannte, Aussicht, einen Partner zu finden? An einem einzigen Ort, einem großen Café gegenüber der Universität, das von Studenten besucht wurde!
Warum sollte es in Paris nicht auch so sein? Also nahm er Richtung auf das Quartier Latin und auf dessen Hauptschlagader, den Boulevard Saint-Michel. Er war ein wenig verwirrt, denn das alles hatte nichts mit dem geruhsamen Städtchen Groningen gemein, aber er ließ sich nicht entmutigen.
In einer ganzen Reihe von Cafés, bei denen er durch die Fensterscheiben blickte, wurde überhaupt nicht gespielt und man merkte, daß die Leute, die dort saßen, nicht für länger blieben.
Hingegen bemerkte er auf der anderen Seite des
Boulevards in der oberen Etage eines Lokals hinter den Vorhängen Silhouetten von Leuten, die mit Billardstöcken hantierten.
Er war darauf sehr stolz, als ob er schon eine Partie gewonnen hätte. Und noch stolzer war er, als er in der besagten oberen Etage in einen schlichten verräucherten Saal kam, wo grün abgeschirmte Lampen ein Dutzend Billardtische beleuchteten und überdies an allen Tischen Tavli, Karten und Schach gespielt wurde.
Ebenso zeremoniell wie in seinem holländischen Schachclub zog er seinen schweren Mantel aus, hängte ihn auf einen Bügel, ging zum Händewaschen auf die Toilette, fuhr sich kurz mit dem Kamm durch das Haar, säuberte seine Fingernägel und setzte sich dann zu zwei jungen Leuten, die Schach spielten; schließlich bestellte er sich ein kleines Dunkles und zündete sich eine Zigarre an.
Zu schade, daß er entschieden hatte, sich nicht zweimal am selben Ort sehen zu lassen, denn andernfalls war dieses Café der Typ von Lokal, wo er gern alle seine Nachmittage verbracht hätte! Keine einzige Frau, was allein schon sein Wohlgefallen erregte! Im Gegenteil, überwiegend junge Leute, Studenten, von denen viele ihr Jackett abgelegt hatten, um Billard zu spielen.
Einer der beiden Schachspieler war ein Japaner mit Hornbrille und der andere ein großer Blonder, ein Heißsporn, auf dessen Gesicht sich jede Gemütsbewegung abzeichnete.
Wiederum ganz wie in Groningen zog Kees seine goldgeränderte Brille hervor und wischte sie sauber, ehe er sie aufsetzte. Danach vergingen Minuten und Minuten, während deren er weiter nichts tat als auf das Schachbrett zu starren, dessen Figuren sich seinem Geist mit der gleichen Präzision einprägten, wie vorhin die einzelnen Viertel auf dem Pariser Stadtplan.
Sogar der Geruch, eine Mischung aus Bier, Zigarren und Sägespänen, erinnerte an den Schachclub in Groningen! Und auch das leidenschaftliche Interesse des Kellners, der gelegentlich seinen Dienst unterbrach, um sich hinter den Spielern aufzupflanzen und ein paar Züge einer Partie mit kritischem Blick zu
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