Der Mann, der den Zügen nachsah
sich als erster geschlagen geben, woraufhin der andere sich mächtig anstrengte, aber nach ein paar weiteren Minuten ebenfalls verlor.
»Wozu darf ich Sie einladen«, glaubte er sagen zu müssen.
»Zu nichts! Ich bin es, der eine Runde ausgibt.«
»Aber wir haben doch verloren…«
Er bestand darauf, ihnen etwas zu trinken zu bestellen, zündete sich eine neue Zigarre an und lehnte sich bequem zurück.
»Worauf es ankommt, nicht wahr, ist, alle Figuren im Kopf zu haben, nicht vergessen, daß der Läufer die Dame schützt, daß die Dame das Pferd schützt, daß…«
Um ein Haar hätte er hinzugefügt: » … und daß Louis, von Jeanne Rozier gewarnt, schon wieder von Marseille zurückfährt, daß zu dieser Stunde Kommissar Lucas in der Rue Fromentin anlangt, wo Jeanne sich fragt, was das nun wieder soll… Daß Goin in Juvisy nicht zu telefonieren wagt aus Angst, sich verdächtig zu machen, und daß Rose…«
Aber er fuhr fort:
»Und dann, die Taktik des Gegners studieren und selbst keine haben. Angenommen, ich hätte eine Taktik angewandt und einen von Ihnen besiegen können, aber der andere hätte das durchschaut und hätte mich in Schwierigkeiten gebracht…«
Er war sehr zufrieden mit sich! So sehr, daß er, als die
beiden jungen Leute sich dankend verabschiedet hatten, noch dablieb, die Daumen im Ärmelausschnitt der Weste, und von weitem eine Billardpartie verfolgte, wobei er der Lust mitzuspielen nur mit Mühe widerstand.
Denn er hätte beim Billard leicht das vollbringen können, was ihm beim Schach gelungen war: einem der Spieler das Queue aus der Hand nehmen und eine Serie von gut fünfzig Punkten zustandebringen.
Was aber seine Partner während der ganzen Zeit nicht gesehen hatten, war, daß sich an der anderen Wand des Billardsaals Spiegel befanden. Da die Beleuchtung nur schwach und die Atmosphäre überdies von dem Pfeifen- und Zigarettenqualm getrübt war, warfen die Spiegel ihm ein verschwommenes, ziemlich geheimnisvolles PopingaBild zurück, und das betrachtete er wohlgefällig mit um die Zigarre gerundeten Lippen.
Eine Uhr mit Zifferblatt aus graugrüner Emaille schlug sechs Uhr. Um die Zeit hinzubringen, zog er sein Notizbuch heraus und überlegte lange, ehe er etwas hineinschrieb.
Denn er war sich darüber klar, daß er jeden Tag viele Stunden hinbringen mußte, selbst wenn er das Schlafen auf ein Maximum ausdehnte. Er konnte nicht mehr drei oder vier Stunden in den Straßen umherirren, denn das war ermüdend und auf die Dauer widerwärtig. Er mußte sich regelmäßige Zerstreuungen ausdenken, so wie heute, und sie so lange wie möglich ausdehnen, um in Form zu bleiben, um einen klaren Kopf zu behalten.
Schließlich notierte er:
Dienstag, 28. Dezember. – Juvisy durchs Fenster verlassen. Im Zug zwei Frauen. Rue Fromentin mit Jeanne, die nicht gelacht hat. Habe darauf geachtet, sie nur leicht zu betäuben. Bin sicher, sie wiederzusehen.
Mittwoch, 29. Dezember. – Danach im Faubourg Montmartre übernachtet mit Frau, die ich nach ihrem Namen zu fragen vergaß. Hat mich einen »traurigen Kunden« genannt. Nötige Toilettesachen gekauft. An Kommissar Lucas geschrieben und Schach gespielt. Groß in Form.
Das genügte. Es vergegenwärtigte ihm nämlich die Stunden, die er eben verbracht hatte, so deutlich, daß er sich nun an eine Einzelheit erinnerte: die Sache mit dem Handkoffer. Er hatte sich keinen gekauft, um nicht als der Mann mit dem Köfferchen abgestempelt zu werden. Was er unbedingt vermeiden mußte, war, ein allzu sichtbares Merkmal zu haben. Und dann, bei längerer Betrachtung seines Spiegelbildes, stellte er fest, daß auch die Zigarre zu seinem Signalement gehörte. Die beiden jungen Leute zum Beispiel würden nicht vergessen, daß er Zigarren rauchte! Auch nicht der Kellner in der Brasserie, wo er seinen Rohrpostbrief geschrieben hatte! Er sah sich um und stellte fest, daß von mindestens fünfzig Gästen höchstens zwei Zigarre rauchten.
Jeanne Rozier wußte das! Goin wußte es! Der Oberkellner vom Picratt’s wußte es! Die Frau, mit der er bis mittags zusammen gewesen war, hatte es bemerkt.
Wenn er also nicht zu dem Mann mit der Zigarre werden wollte, mußte er etwas anderes rauchen, Pfeife oder Zigaretten, und dazu ging er nur ungern über, denn es machte fast einen Teil seines Wesens aus.
Nachdem dieser Entschluß einmal gefaßt war, führte er ihn auf der Stelle aus, zerdrückte den Rest seiner Zigarre und
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