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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Partie Billard von Zeit zu Zeit zu begnügen.
    Bei meiner Mutter zu Hause träumte ich davon, Geld zu
    haben wie die anderen, um mich mit den Kameraden in der Stadt amüsieren zu können; ich träumte auch davon, gut angezogen zu sein, statt die umgearbeiteten Anzüge meines Vaters tragen zu müssen.
       Bei mir zu Hause, oder richtiger bei meiner Frau, habe ich während sechzehn Jahren die Männer beneidet, die des Abends ausgehen, ohne zu sagen wohin, oder solche, die man am Arm einer hübschen Frau vorbeispazieren sieht, oder die in Züge steigen und sich anderswohin begeben…
       Was den »guten Vater« betrifft, so glaube ich nicht daran. Ich habe meine Kinder nie verabscheut. Als sie geboren wurden, habe ich, um Mama eine Freude zu machen, gesagt, sie seien schön, aber ich fand sie gräßlich, und diese Meinung hat sich seitdem kaum geändert.
       Man behauptet, meine Tochter sei intelligent, weil sie nie viel redet, aber ich weiß: das liegt daran, daß sie nichts zu sagen hat. Noch dazu ist sie eingebildet und vor ihren Freundinnen stolz darauf, in einem schönen Haus zu wohnen. Einmal habe ich sie auf die Frage »Was macht dein Vater beruflich?« antworten hören:
       »Er ist Direktor der Firma de Coster & Co.« Was gar nicht stimmt! Verstehen Sie?
    Was den Jungen betrifft, so hat er keinen der üblichen
    Fehler seines Alters, was mich geneigt macht anzunehmen, daß er es im Leben zu nichts bringen wird.
    Wenn es heißt, ich sei ein guter Vater, weil ich Spielchen für sie erfinde, so ist das ein Irrtum, denn ich erfinde sie für mich, wenn ich mich des Abends langweile. Ich habe mich immer gelangweilt. Ich habe mir eine Villa bauen lassen, nicht weil ich gern in einer Villa leben wollte, sondern weil ich in meiner Jugend die Kameraden beneidete, die in einer Villa wohnten.
       Ich habe den gleichen Ofen angeschafft, den ich bei dem reichsten meiner Freunde gesehen hatte. Dann den gleichen Schreibtisch wie den von…
       Aber das würde zu weit führen. Ich bin niemals ein Junge aus gutem Hause gewesen, weder wohlerzogen noch ein guter Ehegatte, noch ein guter Vater, und wenn meine Frau das behauptet, so um sich einzureden, daß nämlich sie eine gute Ehefrau, eine gute Mutter usw. gewesen ist.

    Es war erst drei Uhr. Er hatte alle Muße nachzudenken und tat das, indem er als Unbeteiligter die lauwarme Atmosphäre des Cafés registrierte, die sich mit sinkendem Tag immer mehr verdichtete.

    Weiter lese ich in dem Artikel Ihrer Zeitung, daß Basinger, mein Buchhalter bei Julius de Coster, erklärt hat:
       »Herr Popinga war dem Hause de Coster dermaßen verbunden, daß er es ein wenig als seins betrachtete und daß die Konkursmeldung für ihn ein fürchterlicher Schlag sein konnte, der womöglich seinen Geist verstörte.«
       Wenn man so etwas liest, Herr Chefredakteur, kann einem übel werden. Stellen Sie sich vor, man würde Ihnen sagen, daß Sie für den Rest Ihres Lebens nur noch Schwarzbrot und Wurst essen müßten. Würden Sie da nicht versuchen, sich einzureden, daß Schwarzbrot und Wurst etwas ganz Hervorragendes wären?
       Ich habe mir sechzehn Jahre lang eingebildet, das Haus de Coster sei das solideste und seriöseste in ganz Holland.
    Eines Abends dann, im Kleinen Sankt Georg (das verstehen Sie nicht, aber das macht nichts), habe ich erfahren, daß Julius de Coster ein Lump war, und noch andere Tatsachen dieser Art.
       Ich habe zu Unrecht »Lump« geschrieben. Alles in allem hat Julius de Coster, ohne viel Aufhebens davon zu machen, nur das getan, was ich schon immer gern getan hätte. Er hatte ein Verhältnis mit dieser Pamela, die…
       Ich komme noch darauf… Stellen Sie sich nur vor, daß ich, mich im Spiegel betrachtend, zum ersten Mal im Leben zu mir sagte:
       »Welchen Grund gibt es für dich, so wie bisher weiterzuleben?«
       Ja, welchen? Und vielleicht werden Sie sich die gleiche Frage stellen oder viele Ihrer Leser werden sie sich stellen. Welchen Grund? Gar keinen! Eben das habe ich entdeckt, als ich ganz einfach so, ganz kühl, über Dinge nachdachte, die man immer nur von einem falschen Standpunkt aus sieht.
       Anders gesagt: Ich war aus Gewohnheit Prokurist geblieben, aus Gewohnheit Ehegatte meiner Frau und Vater meiner Kinder, weil ich nicht weiß, wer bestimmt hat, es müßte so und nicht anders sein.
       Und wenn ich für meine Person es anders machen wollte?
       Sie können sich nicht vorstellen, wie einfach die Dinge werden, wenn man

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