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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Lucas, er, Popinga, würde sich von der Verhaftung der Diebesbande überzeugen wollen und treibe sich bei der Werkstatt in Juvisy herum?
    Nie im Leben!
      Oder auch, daß er weiter das Viertel um Montmartre bevorzuge? Längst nicht mehr!
    Wann und wie gedachte er ihn also zu fassen?
      Hoffte er etwa, er würde auf die Idee kommen zu fliehen, und man würde also die Bahnhöfe überwachen?
      Unwillkürlich begann Popinga, sich von Zeit zu Zeit umzuwenden, und er blieb an Schaufenstern stehen, um sich zu vergewissern, daß er nicht verfolgt wurde. Vor einem Stadtplan am Eingang zur Metro fragte er sich, welches Viertel er für diese Nacht wählen sollte. Ja, welches?
      Zumindest in einem Viertel von Paris, vielleicht in zwei oder dreien, würde die Polizei eine Runde durch die kleinen Hotels machen und die Papiere der Bewohner verlangen.
    Aber welches Viertel würde Lucas dafür auswählen? Und warum überhaupt schlafen, da er doch gar nicht müde war? Hatte er nicht gestern auf den großen Boulevards ein Kino gesehen, dessen Vorstellungen ohne Unterbrechung bis morgens um sechs gingen? Würde Lucas auf die Idee kommen, ihn in einem Kino suchen zu lassen?
      Auf jeden Fall mußte er auf eins achten, wenn es auch schwer fiel: den Leuten und besonders den Frauen nicht mehr spöttisch ins Gesicht zu sehen, als wollte er sagen: »Sie erkennen mich nicht?… Mache ich Ihnen nicht Angst?«
      Denn er war jetzt soweit, solche Gelegenheiten zu suchen. Der Beweis war, daß er wiederum, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, ein Restaurant mit weiblicher Bedienung wählte.
       Mit meinen Blicken vorsichtig sein, notierte er unter einer Gaslaterne in sein Büchlein.
      Ein Satz in dem letzten Artikel, den er gelesen hatte, störte ihn besonders. Man pochte da auf die Möglichkeit, daß er sich selbst verraten würde.
      Wie war man darauf gekommen, daß das ein Tick von ihm war, sich nicht damit zu begnügen, ein Unbekannter in einer Menge zu sein, sondern daß es ihn manchmal juckte, bei irgendeiner Begegnung, besonders in einer dunklen und stillen Straße, rundheraus zu sagen: »Sie wissen wohl nicht, wer ich bin?«
      Aber jetzt, da er gewarnt war, bestand diese Gefahr nicht mehr. Er würde sich angewöhnen, die Menschen ganz natürlich anzusehen, als sei er irgendein Unbekannter und nicht einer, über den alle Zeitungen schrieben.
      Ja, was für ein Gesicht hatte Julius de Coster junior wohl gemacht, als er all dies erfuhr? Denn er war auf dem laufenden! Es war darüber ebenso in den englischen wie in den deutschen Zeitungen zu lesen.
    Der wenigstens mußte zugeben, sich in seinem Angestellten getäuscht zu haben! Er mußte sich schämen wegen des Tons, in dem er ihm im Kleinen Sankt Georg seine Geständnisse gemacht hatte, wie einem Tölpel, der nichts verstand!
      Und nun war es so, daß der Angestellte seinen Chef übertraf, daß Popinga Julius übertölpelte! Unmöglich, das Gegenteil zu behaupten! Julius, der irgendwo in London, Hamburg oder Berlin bemüht war, leidlich korrekt aussehende Geschäfte aufzuziehen! Während Popinga der Welt ins Gesicht sagte, was er dachte…
      Eines Tages würde er, nur um zu sehen, wie de Coster reagierte, ein Inserat in die Morning Post einrücken lassen, wie es vereinbart war. Aber auf welche Weise sollte er die Antwort empfangen?
      Popinga marschierte immer noch umher. Es machte nachgerade die Hälfte seines Lebens aus, durch die Straßen zu irren, an erleuchteten Läden vorbei und in Tuchfühlung mit einer nichtsahnenden Menge. Und seine Hände in den Manteltaschen streichelten mechanisch die Zahnbürste, den Rasierpinsel und den Rasierapparat.
    Die Lösung, jetzt hatte er sie. Er war sicher, stets
    Lösungen zu finden, wie beim Schach! Er brauchte nur zweimal im gleichen Hotel abzusteigen und zwei unter irgendeinem Namen an ihn adressierte Briefe zu schreiben. Auf diese Weise bekäme er zwei Briefumschläge mit seiner Adresse, und das genügte, um postlagernd weitere Briefe zu empfangen.
      Warum nicht heute abend damit beginnen? Zu diesem Zweck ging er noch einmal in eine Brasserie. Die typischen Pariser Cafés mit ihren zu kleinen Tischchen, wo die Gäste dicht an dicht sitzen, mochte er nicht. Er war an die holländischen Lokale gewöhnt, wo man nicht ständig seine Nachbarn mit den Ellenbogen anstößt.
    »Geben Sie mir bitte das Telefonbuch.«
    Er schlug es an irgendeiner Stelle auf, zufällig bei der Rue Brey, einer Straße, die er nicht

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