Der Mann, der den Zügen nachsah
kannte, und entschied sich nach dem Namen für ein Hotel, das Hotel Beauséjour hieß.
Dann schrieb er sich selbst einen Brief oder vielmehr: er steckte ein weißes Blatt in einen Briefumschlag, auf den er schrieb: M. Smitson, Hôtel Beauséjour, 14 bis, Rue Brey.
Warum denn nicht Zeit sparen und zwei Umschläge zugleich beschriften? Er verstellte seine Handschrift. So kam er zu einem zweiten adressierten Umschlag.
Und warum denn nicht die Rohrpost benutzen?
Warum nicht aufs Ganze gehen und Geld von de Coster verlangen; denn der mußte eine Heidenangst haben, Popinga könnte seine Geschichte erzählen.
Er entwarf das Inserat:
Kees an Julius. Fünf Mille Smitson, postlagernd, Bureau 42, Paris, schicken.
Diese kleinen Verrichtungen beschäftigten ihn bis elf Uhr am Abend, denn er beeilte sich nicht damit, sondern nahm sich Zeit und genoß es, fein zierlich und gut leserlich zu schreiben.
»Kellner, bringen Sie mir bitte Briefmarken!«
Dann ging er hinunter in die Telefonzelle, verlangte das Hotel Beauséjour, begann auf Englisch, fuhr auf Französisch weiter, aber mit einem starken angelsächsischen Akzent:
»Hallo!… Hier Mister Smitson… Ich treffe morgen früh bei Ihnen ein… Wollen Sie bitte auf meinen Namen lautende Postsachen für mich aufheben?«
»Sehr wohl, Monsieur!«
War Kommissar Lucas nun richtig genasführt? Ob er wohl mit soviel Kaltblütigkeit auf Seiten Popingas gerechnet hatte?
»Wünschen Sie ein Zimmer mit Bad?«
»Selbstverständlich!«
Dabei ärgerte er sich schon, gerührt zu sein, bloß weil eine weibliche Stimme ihm geantwortet hatte. So etwas mußte er um jeden Preis vermeiden! In der Abendzeitung war klipp und klar gesagt, was man von ihm erwartete: einen neuen Überfall, der der Polizei neue Anhaltspunkte geben würde!
»Aber ich werde keinen neuen Überfall machen!« entschied er. »Zum Beweis dessen gehe ich jetzt in aller Ruhe ins Kino. Morgen früh um sechs werde ich im Hotel Beauséjour absteigen, als käme ich soeben vom Bahnhof.«
Wiederum zum Beweis, daß er an alles dachte, verlangte er in einem anderen Café das Kursbuch und stellte fest, daß um fünf Uhr zweiunddreißig ein Zug aus Straßburg eintraf.
»Ich werde also jemand sein, der soeben aus Straßburg ankommt!«
Also los! Das war geschafft.
Er konnte getrost ins Kino gehen und fühlte sich darin noch bestärkt, weil es keine Platzanweiserinnen gab, sondern hochgewachsene Pagen in Uniform, die das besorgten.
Was mochte Kommissar Lucas tun? Und Louis, der gewiß aus Marseille zurück war? Und Goin? Und Rose, die er verabscheute, ohne sagen zu können, weshalb.
9
Das junge Mädchen im blauen
Seidenkleid und der junge Mann mit
der schiefen Nase
Was hätte es den Zeitungen ausmachen können, ein paar Worte mehr zu drucken? Gewöhnlich können sie gar nicht genug erzählen. Sie enthüllen, daß die Polizei sich dies oder jenes denkt, daß sie diese oder jene Falle gestellt hat, und sie veröffentlichen ein Foto der Männer, die auf den Verbrecher angesetzt sind.
Weiter hatte Popinga festgestellt, daß keine einzige Zeitung das Porträt von Kommissar Lucas veröffentlicht hatte. Allerdings war das nicht von entscheidender Wichtigkeit. Der Kommissar lief gewiß nicht höchstselbst durch die Straßen, wie ein Polizeispitzel auf der Suche nach Kees, aber der hätte gern die Gesichtszüge seines Gegners gekannt, nur so, um sich eine Meinung bilden zu können.
Nicht so sehr das Schweigen der Presse an sich war bedeutungsvoll, als vielmehr die Weisungen, die dahinter zu vermuten waren. Beispielsweise schloß die Zeitung, die den langen Brief von Popinga veröffentlicht hatte, mit den folgenden Sätzen:
Nachdem Kommissar Lucas dieses Dokument lächelnd gelesen hatte, gab er es uns achselzuckend zurück.
»Was halten Sie davon?« fragten wir ihn. Und der Kommissar, ohne sich weiter dazu äußern zu wollen, sagte nur:
»Klarer Fall!«
Das sagte Popinga überhaupt nichts und half ihm nicht weiter. Hingegen hätte es ihn unter anderem interessiert zu wissen, ob das Mädchen, dessen Namen er nicht wußte, die, mit der er am Faubourg Montmartre die Nacht verbracht hatte und die ihm seinen Rasierapparat gekauft hatte, ihn nachträglich erkannt und der Polizei einen Hinweis gegeben hatte.
Das war wichtig, denn wenn die Öffentlichkeit erfuhr, daß er einen Rasierapparat und Rasierpinsel in der Tasche trug und daß er sich darauf versteifte,
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