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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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jetzt, ich der Genarrte war.
       Ich weiß nicht, was ich machen werde, ob es weitere Vorfälle geben wird, mit denen die Polizei sich beschäftigen muß. Das hängt ganz von meinen momentanen Wünschen ab.
       Ich bin, was immer man von mir glauben mag, ein friedlicher Mensch. Wenn ich morgen einer Frau begegnete, um die es sich lohnte, wäre ich imstande, sie zu heiraten, und es würde nie mehr ein Gerede über mich geben.
       Aber wenn man umgekehrt mich zum Äußersten triebe und mich reizte, auf Leben und Tod zu kämpfen, dann würde, so glaube ich, nichts mich aufhalten können.
       Vierzig Jahre lang habe ich mich gelangweilt. Vierzig Jahre lang habe ich mir das Leben wie ein armer Junge angesehen, der seine Nase am Schaufenster einer Patisserie plattdrückt und zusieht, wie andere das Backwerk verspeisen.
    Jetzt weiß ich, daß die süßen Kuchen denen gehören, die
    sie sich einfach nehmen.
       Lassen Sie ruhig weiter drucken, daß ich verrückt bin, wenn Ihnen das Spaß macht. Damit werden Sie, Herr Chefredakteur, nur beweisen, daß Sie verrückt sind, so wie ich es bis zu dem Abend im Kleinen Sankt Georg war.
       Ich berufe mich für die Veröffentlichung dieses Briefes nicht auf das Recht zu einer Erwiderung, denn darüber würde man nur lächeln. Und dennoch wären die, die darüber lächeln, die Einfältigen. Denn wer, wenn nicht ein Mensch, der sein Fell riskiert, könnte sich mit mehr Kompetenz auf das Recht berufen, die Falschmeldungen zu berichtigen, die ihm angehängt werden.
       Ich zeichne, in Erwartung der Lektüre meines Briefes in Ihren Spalten, als Ihr sehr ergebener (stimmt nicht, aber das ist nun mal die Floskel)
    Kees Popinga

    Er spürte Müdigkeit im Handgelenk, aber seit langem nicht hatte er eine Stunde so angenehm verbracht wie hier. Ja, er konnte sich nicht entschließen, jetzt mit dieser Korrespondenz aufzuhören. Die Lampen waren angezündet. Die Bahnhofsuhr gegenüber zeigte auf halb fünf. Und der Kellner fand es ganz natürlich, daß ein Gast die Zeit damit verbrachte, seine Post zu erledigen.

    Sehr geehrter Herr Chefredakteur, Diesmal wandte er sich an eine Zeitung, die in fetten Buchstaben die Schlagzeile Der Verrückte aus Holland gebracht hatte, und er konterte:

    Ihr Redakteur hält sich ohne Zweifel für besonders geistreich und scheint eher darauf aus zu sein, mit Schlagzeilen für sich Reklame zu machen, statt seriöse Berichte zu liefern.
       Zunächst einmal sehe ich nicht, was Holland mit dieser Geschichte zu tun hat, angesichts der Tatsache, daß ich so und so oft in den Zeitungen viel schrecklichere Geschichten gelesen habe, deren Helden vortreffliche Franzosen waren.
       Überdies ist es sehr bequem, Menschen aus eigener Unfähigkeit, sie zu verstehen, als verrückt zu bezeichnen.
    Wenn es bei Ihnen üblich ist, Ihre Leser in dieser Weise
    zu informieren, kann ich Sie schwerlich dazu beglückwünschen.
    Kees Popinga

    Damit wären zwei erledigt!
      Einen Augenblick dachte er daran, zum Boulevard SaintMichel zurückzugehen, wo er gewiß einen Partner für eine Schachpartie finden würde. Aber er hatte erst gestern beschlossen, sich nicht zweimal am gleichen Ort blicken zu lassen, und daran wollte er sich halten. Zudem ging gerade ein Zeitungsverkäufer mit den Abendblättern von Tisch zu Tisch, und er kaufte sie und begann zu lesen.

    Die Verhaftung von Kees Popinga, dem Satyr von Amsterdam, kann nach einhelliger Meinung nur noch eine Frage von Stunden sein. Es ist ihm faktisch unmöglich, durch die Maschen des Netzes zu schlüpfen, das der rührige Kommissar Lucas von der Kriminalpolizei um ihn gesponnen hat.
    Wir müssen uns entschuldigen, daß wir nicht mehr sagen, aber man wird unsere Skrupel verstehen, wenn man bedenkt, daß es das Spiel des Verbrechers spielen hieße, wollte man etwas über die getroffenen Maßnahmen verraten.
       Nur soviel, daß nach Auskunft von Jeanne Rozier der Holländer über eine Geldsumme verfügt, die nicht ausreicht, um länger durchzuhalten.
       Auch muß man wissen, daß er leicht an gewissen Passionen zu erkennen ist, von denen er nicht lassen kann – und damit haben wir schon alles gesagt, was zu sagen uns erlaubt ist.
       Eins ist allerdings zu befürchten: daß Popinga, wenn er sich eingekesselt fühlt, einen neuen Überfall begeht. Vorkehrungen in diesem Sinne sind getroffen.
       Demgemäß haben wir es, wie Kommissar Lucas soeben auf seine ruhige Art gesagt hat, mit einem Fall zu tun, der zum

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