Der Mann, der die Frauen belog - Roman
lächelte der alten Dame, die in der Wohnung über Amanda Bosch wohnte, freundlich zu.
»Sie hatten Probleme mit Ihrem Scheck vom Sozialamt?«
»Ja. Den hatte Jimmy sich gegriffen, das macht er oft. Ich hab gedacht, Sie hätten ihn deshalb verhaftet. Meist krieg ich dann das Geld von seiner Mutter zurück, die war aber diesmal selber klamm. Angezeigt habe ich ihn noch nie, aber Amanda hat mir mit Lebensmitteln und Medikamenten ausgeholfen, und da hab ich zu Jimmy gesagt, wenn du das bei Amanda nicht wiedergutmachst, sorg ich dafür, dass du in den Knast kommst. War natürlich nicht so gemeint. Und was bringt er an? Eine getragene Jacke mit einem Brandloch im Ärmel.«
»Wissen Sie, wo Jimmy an dem Vormittag war?«
»Hier bei mir. Früh um sechs hatte ihn sein Vater hergeschleppt, der Junge sollte sich entschuldigen. Mein Sohn arbeitet nämlich nachts. Bis früh um fünf. Als seine Frau ihm das mit dem Scheck erzählt hat, ist er ausgerastet, und Mrs. Cramer, meine Nachbarin … so eine liebe Frau, seit meiner letzten Herzgeschichte schaut sie immer bei mir vorbei, ehe sie zur Arbeit ins Krankenhaus fährt … ja, also Mrs. Cramer war gerade hier, als er mit Jimmy ankam, die kann das bestätigen. Dann sind wir alle zusammen zur Messe und hinterher zu meinem Sohn zum Frühstück gegangen. Mittags hat mein Sohn mich heimgefahren.«
Riker warf einen Blick in sein Notizbuch. Die Aussage stimmte mit dem überein, was der Junge ihm erzählt hatte. Die alte Dame war keine geübte Lügnerin. Ihre Augen verrieten nur allzu deutlich ihre Gedanken und Ängste.
»Und Sie haben Ihren Enkel den ganzen Vormittag im Auge gehabt?«
»Ja. Fragen Sie nur Pater Ryan, der erinnert sich bestimmt, er war ja ganz baff, dass Jimmy mal wieder in der Kirche aufgekreuzt ist.« In den verkrümmten Händen hielt sie eine Blechdose. »Was werden Sie mit meinem Enkel machen?«
»Ich lasse ihn zu seiner Arbeitsstelle zurückfahren.«
»Wird er nicht angeklagt?«
»Nein.«
Mit einiger Mühe machte sie die Bonbonschachtel auf und streckte sie Riker hin.
»Ich habe noch ein paar Fragen wegen Amanda«, sagte der und griff zu.
»Dass sie tot ist, will mir immer noch nicht in den Kopf. Sie war so jung. Und so lieb. Ich kann nicht …« Die Worte blieben ihr in der Kehle stecken.
»Ich würde mich gern noch ein bisschen mit den Nachbarn unterhalten«, sagte Riker. »Vielleicht haben die Amanda mal mit einem Freund gesehen. Kaum zu glauben, dass es im Leben einer so jungen, hübschen Frau wie Amanda keinen Mann gegeben haben soll …«
Und ohne Mann kein Baby … Die alte Dame verschwieg etwas.
»Die Nachbarn können Ihnen darüber gar nichts sagen«, beteuerte Mrs. Farrow. »Tagsüber arbeiten die alle, und abends gehen sie ziemlich bald schlafen. Nein, von denen werden Sie kaum was erfahren.«
»Und am Wochenende haben Sie den Mann in der Wohnung unter sich nie gehört, was?«
»N-nein.«
Erschrocken über das, was sie mit diesem einen Wort verraten hatte, schlug sie die Augen nieder.
Riker lächelte und besah sich die alte Dame wie eine kleine Kostbarkeit. »Ich bin auch nicht dafür, schlecht über die Toten zu reden – aber wir wollen ja auch gar nicht über Amanda herziehen. Und Sie möchten doch sicher auch, dass wir den Mörder finden. Sie glauben also, dass ihr Freund verheiratet ist?«
»Amanda hat nie über ihn gesprochen, er kam nur nachmittags, wenn sonst niemand im Haus war.«
»Aber Sie haben die beiden da unten gehört.«
Die knotig verdickten Finger spielten nervös mit der Bonbondose. Und was ich alles gehört habe … Die Worte hingen unausgesprochen im Raum. Mrs. Farrow sah Riker nicht an.
Mallory ließ den Text durchrollen. Vielleicht stieß sie ja auf etwas Auffälliges. Links von ihr war das Fenster zur Feuertreppe. Von dort hörte sie ein Baby schreien und dann ein leises Geräusch. Sie drehte sich um.
Kein Baby.
Sie sah in ein Paar schrägstehender Augen, die so grün waren wie ihre eigenen. Das ursprünglich weiße Katzenfell war schmutzig grau, ein Ohr war eingerissen und blutete. Offenbar ein Streuner, den Amanda hin und wieder gefüttert hatte.
»Pech gehabt, alter Junge. Jetzt musst du sehen, wie du allein zurechtkommst.«
Sie wandte sich wieder dem Computer zu und bekam dabei auch das eine oder andere von der Handlung mit. Eine der Hauptfiguren wohnte in einer teuren Eigentumswohnung in der Upper West Side (das passte gut zu der fehlenden Karteikarte von Betty Hyde), und der Held des Romans (das
Weitere Kostenlose Bücher