Der Mann, der kein Mörder war
beredten Anhaltspunkt dafür, was sie von seinem Besuch hielt.
«Es tut mir leid, dass ich dich störe.»
Torkel tat sein Bestes, sich seine Nervosität nicht anhören zu lassen. Jetzt, wo er vor ihr stand, wurde ihm bewusst, dass er sich auf keinen Fall mit ihr zerstreiten wollte.
«Ich wollte nur mal sehen, wie es um uns bestellt ist.»
«Was glaubst du denn, wie es um uns bestellt ist?»
Wie er befürchtet hatte. Sie war noch immer wütend, verständlicherweise. Aber es war Torkel noch nie schwergefallen, um Verzeihung zu bitten, wenn er einen Fehler gemacht hatte.
«Entschuldige bitte, ich hätte dir erzählen sollen, dass ich vorhatte, Sebastian einzustellen.»
«Nein! Du hättest ihn gar nicht erst einstellen dürfen!» Für einen kurzen Moment verspürte Torkel eine leichte Irritation. Jetzt war sie starrköpfig. Er bat um Verzeihung. Er erkannte an, dass er die Situation unglücklich gelöst hatte, aber er war immerhin der Chef. Er war gezwungen, Entscheidungen zu treffen und die Mitarbeiter hinzuzuziehen, die seiner Meinung nach am besten für die Ermittlung waren. Auch wenn sie nicht bei allen beliebt waren. Dazu musste man sich professionell verhalten. Torkel entschied jedoch schnell, keinen dieser Gedanken auszusprechen. Einerseits wollte er es sich nicht noch mehr mit Ursula verderben, andererseits war er noch immer nicht hundertprozentig davon überzeugt, dass Sebastians Anwesenheit wirklich das Beste für die Ermittlungen war. Torkel spürte, dass er sein Verhalten nicht nur vor Ursula erklären, sondern auch vor sich selbst rechtfertigen musste. Warum hatte er an jenem Vormittag im Frühstückssaal nicht einfach «nein danke» und «auf Wiedersehen» zu Sebastian gesagt? Er sah Ursula beinahe flehend an.
«Du, ich muss wirklich mit dir sprechen. Darf ich reinkommen?»
«Nein.»
Ursula öffnete die Tür keinen Spaltbreit weiter. Im Gegenteil. Sie schob sie ein Stück zu, als erwarte sie, dass er gleich versuchen würde, einen Fuß in die Ritze zu stellen. Aus dem Zimmer drangen drei kurze, drei lange und wieder drei kurze Signale. SOS . Ursulas Klingelton.
«Das ist Mikael. Er wollte anrufen.»
«Okay.»
Torkel sah ein, dass das Gespräch beendet war.
«Schöne Grüße.»
«Die kannst du ihm persönlich überbringen, er kommt nämlich morgen her.»
Ursula schloss die Tür. Torkel blieb noch einige Sekunden stehen und ließ die Information sacken. Ein Besuch Mikaels bei einer auswärtigen Ermittlung, das hatte es schon ewig nicht mehr gegeben seit … Noch nie gegeben, so weit Torkel zurückdenken konnte. Er hatte nicht einmal Lust, sich auszumalen, was das bedeutete. Mit schweren Schritten ging er in Richtung der Treppe, die zu seinem eigenen Zimmer führte. Sein Leben schien bedeutend komplizierter als noch vor vierundzwanzig Stunden.
Aber was hatte er auch anderes erwartet?
Er hatte Sebastian Bergman eingestellt.
Sebastian erwachte auf dem Sofa. Er lag auf dem Rücken und musste eingedöst sein. Der Fernseher lief auf niedriger Lautstärke, gerade kamen die Nachrichten. Seine rechte Hand war so stark geballt, dass es bis weit in den Unterarm hinauf schmerzte. Vorsichtig versuchte er, die Finger aus dem verkrampften Zustand zu lösen. Er schloss die Augen wieder. Es hatte zu stürmen begonnen. Die Böen drückten von außen gegen das Haus, sie donnerten durch den Schornstein bis in den offenen Kamin, doch in seinem halbwachen Zustand verschmolz das Geräusch mit dem Traum, aus dem er gerade erwacht war. Der Donner, die Kraft, diese übermenschliche Stärke in einer Wand aus Wasser.
Er hielt sie. Hielt sie fest. Zwischen all den Schreien, zwischen allen, die schrien. Der aufgewirbelte Sand. Die Kraft. Es war das Einzige, was er inmitten dieses Wahnsinns wusste: dass er sie festhielt. Er konnte sogar ihre beiden Hände sehen. Natürlich war es eigentlich unmöglich, aber doch, er sah ihre Hände wirklich, konnte sie noch immer sehen. Ihre kleine Hand mit dem Ring. Von seiner rechten Hand umschlossen. Er hielt sie fester, als er sie jemals gehalten hatte. Es blieb keine Zeit nachzudenken, über nichts, aber dennoch wusste er, was er dachte. Ein Gedanke, der wichtiger war als alle anderen: Er durfte nie, nie loslassen. Es war das Einzige, was er dachte: Nicht loslassen, niemals. Aber er tat es. Sie entglitt ihm.
Plötzlich war sie nicht mehr da. Etwas musste ihn in den Wassermassen getroffen haben. Ihn getroffen? Oder war ihr kleiner Körper an etwas hängen geblieben? Oder
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