Der Mann, der kein Mörder war
Zimmer ignorierte –, hätte er leicht das Bild einer Geschäftsfrau, Ehegattin und Mutter haben können, die nach einem anstrengenden Tag auf dem Sofa entspannte. Die Füße hochgezogen, ein Glas Wein auf dem Tisch, ein gutes Buch und sanfte Hintergrundmusik. Fehlte nur noch ein knisterndes, offenes Feuer. Eine reife Frau, die das Alleinsein und etwas Zeit für sich genoss. Doch nichts traf weniger zu. Beatrice war einsam, das war ihr Problem. Auch wenn Ulf und Johan zu Hause waren, war sie einsam. Johan war sechzehn Jahre alt, mitten im Prozess der Befreiung und des Sichloslösens, dabei ein Papasöhnchen. So war es immer gewesen. Und als Johan auf dem Palmlövska-Gymnasium angefangen hatte, hatte es sich noch verschlimmert. In gewisser Weise konnte Beatrice ihn verstehen, es war sicherlich nicht besonders lustig, immer seine eigene Mutter als Klassenlehrerin zu haben. Aber sie fühlte sich dennoch ausgeschlossener, als sie es ihrer Meinung nach verdient hätte. Sie hatte darüber mit Ulf gesprochen, oder es zumindest versucht. Natürlich ergebnislos. Ulf. Ihr Mann, der morgens ging und abends zurückkehrte. Ihr Mann, mit dem sie aß, Fernsehen guckte und in einem Bett schlief. Der Mann, mit dem sie gemeinsam einsam war. Er war im Haus, aber nie war er bei ihr. War es seit seiner Rückkehr nicht gewesen. Und früher auch nicht.
Es klingelte. Beatrice warf einen Blick zur Tür. Wer konnte das sein? Um diese Zeit? Sie ging in den Flur, schob automatisch ein paar Turnschuhe beiseite und öffnete die Tür. Es dauerte einige Sekunden, bis sie das flüchtig bekannte Gesicht einordnen konnte. Der Polizist, der in der Schule gewesen war. Sebastian Soundso.
«Hallo, entschuldigen Sie bitte die späte Störung, aber ich war gerade in der Nähe.»
Beatrice nickte und warf aus reinem Reflex einen Blick an ihrem Gast vorbei. Kein Auto zu sehen, weder in der Auffahrt noch auf der Straße. Sebastian begriff es im selben Moment, als sie ihn wieder ansah.
«Ich war gerade spazieren und dachte, dass Sie vielleicht jemandem zum Reden brauchen.»
«Warum sollte ich?»
Jetzt kam es darauf an. Sebastian hatte auf dem Weg dorthin seine Strategie ausgeklügelt. Ausgehend davon, was er von ihr und ihrem Mann zu wissen glaubte. Beide hatten sich als Eltern ihres Sohnes vorgestellt und nicht als jeweilige Ehepartner. So etwas hatte er nicht zum ersten Mal erlebt. In einer Paarbeziehung war es ein unbewusster Weg, den anderen zu bestrafen. «Ich verstehe mich nicht in erster Linie als deine bessere Hälfte.» Dass Vater und Sohn dann auch noch gemeinsam weggefahren waren, um die Geschehnisse der letzten Tage zu verarbeiten, anstatt im Kreis der Familie darüber zu sprechen, deutete Sebastian als unzweifelhafte Signale dafür, dass es Mutter und Vater derzeit nicht sonderlich gutging. Deshalb hatte er sich für die Rolle des aufmerksamen Zuhörers entschieden. Es war gleichgültig, was er sich anhörte. Es konnte um Rogers Tod gehen, um Beatrices schlechte Ehe, im Prinzip konnte sie aber auch einen Vortrag über Quantenphysik halten. Er war davon überzeugt, dass ein Zuhörer genau das war, was Beatrice gerade am dringendsten brauchte – abgesehen von einer Putzfrau.
«Als wir uns in der Schule begegnet sind, hatte ich den Eindruck, dass Sie für Ihre Schüler stark sein mussten. Und hier zu Hause müssen Sie das wohl auch, nehme ich an, wo Ihr Sohn doch Rogers bester Freund war. Ich meine, dass Sie Ihre eigenen Gefühle zurückstellen müssen.»
Beatrice nickte unbewusst. Sebastian fuhr fort.
«Aber Roger war Ihr Schüler. Ein junger Mann. Man muss über so eine Sache auch reden können. Man braucht jemanden, der zuhört.»
Sebastian schloss seine Vorstellung damit, dass er den Kopf schief legte und sein einfühlsamstes Lächeln aufsetzte. Eine Kombination, die ihn als jemanden zeigte, der nur das Beste der anderen im Blick hatte und keinerlei Hintergedanken verfolgte. Er konnte sehen, wie Beatrice aufnahm, was er sagte, es aber immer noch nicht richtig einordnen konnte.
«Aber ich verstehe nicht ganz … Sie ermitteln doch als Polizist in diesem Fall.»
«Ich bin Psychologe. Ab und zu arbeite ich mit der Polizei zusammen, als Profiler zum Beispiel, aber deshalb bin ich nicht hier. Ich wusste, dass Sie heute Abend allein sein und vielleicht ins Grübeln geraten würden.»
Sebastian überlegte, ob er seine Worte mit einer leichten Berührung unterstreichen sollte. Einer Hand auf ihrem Oberarm. Aber er beherrschte sich.
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