Der Mann, der kein Mörder war
hinauf, die in einen kleinen, quadratischen Flur mit drei Türen mündete. Hier gab es ein weiteres Badezimmer, ein Schlafzimmer und ein Arbeitszimmer. Hinter dem dunklen, schweren Eichenschreibtisch hingen Ragnars Waffen ordentlich eingeschlossen in einem zertifizierten Waffenschrank. Billy wandte sich an Ursula.
«Oben oder unten?»
«Mir egal. Was möchtest du lieber?»
«Ich kann gern unten anfangen, dann kannst du die Waffen übernehmen.»
«Okay, und wer zuerst fertig ist, kümmert sich um den Carport und das Auto?»
«Einverstanden.» Billy nickte und ging die Treppe hinunter. Ursula verschwand im Arbeitszimmer.
Erst als Vanja die Arme um ihren Vater schlang, spürte sie den großen Unterschied. Vorher und nachher. Er hatte abgenommen, aber es war nicht nur das. In den Umarmungen der letzten Monate hatte immer die Angst vor der Vergänglichkeit des Lebens mitgeschwungen, eine verzweifelte Zärtlichkeit in dem Bewusstsein, dass jede Berührung die letzte sein konnte. Nach der positiven Mitteilung der Ärzte hatte die Umarmung plötzlich eine andere Bedeutung. Die Medizin hatte ihre gemeinsame Reise verlängert und sie vor dem Abgrund bewahrt, an dessen Rand sie in der letzten Zeit balanciert war. Jetzt versprach die Umarmung eine Fortsetzung. Valdemar lächelte sie an. Seine blaugrünen Augen waren so lebendig wie lange nicht, auch wenn sie jetzt von Freudentränen glänzten.
«Ich habe dich so vermisst.»
«Ich dich auch, Papa.»
Valdemar strich ihr über die Wange.
«Es ist so merkwürdig, ich habe gerade das Gefühl, alles von neuem zu entdecken. Als wäre es das erste Mal.»
Vanja blickte ihn stumm an.
«Das verstehe ich gut.» Sie trat ein paar Schritte zurück. Vanja hatte keine Lust, heulend in einem Hotelfoyer zu stehen, und deutete zum Fenster; draußen dämmerte es bereits.
«Lass uns einen Spaziergang machen. Dann kannst du mir ein bisschen Västerås zeigen.»
«Ich? Ich war schon seit Ewigkeiten nicht mehr hier.»
«Aber du kennst die Stadt besser als ich. Immerhin hast du mal eine Zeitlang hier gewohnt, oder?»
Valdemar lachte, nahm den Arm seiner Tochter und ging mit ihr durch die Drehtür.
«Das ist tausend Jahre her, ich war einundzwanzig und hatte meinen ersten Job bei ASEA .»
«Trotzdem weißt du bestimmt mehr als ich. Ich kenne nur das Hotel, das Polizeipräsidium und einige Tatorte.»
Sie gingen los. Sprachen über die lange zurückliegende Zeit, als Valdemar gerade seine Ausbildung am technischen Gymnasium abgeschlossen hatte und jung und motiviert nach Västerås kam. Beide genossen diesen Moment des Plauderns, das zum ersten Mal seit langem tatsächlich nur harmloses Geplauder war und kein Versuch, von dem abzulenken, was ihre Gedanken rund um die Uhr in Unruhe versetzt hatte.
Allmählich brach die Dunkelheit über die Stadt herein, das Wetter hatte umgeschlagen, und es nieselte leicht. Sie bemerkten es kaum, als sie nebeneinander am Wasser entlanggingen. Erst als es schon eine halbe Stunde lang regnete und die Tropfen immer größer wurden, hielt Valdemar es für angebracht, irgendwo Schutz zu suchen. Vanja schlug vor, zum Hotel zurückzukehren und etwas zu essen.
«Hast du denn überhaupt die Zeit dafür?»
«Ich nehme sie mir einfach.»
«Ich will nicht, dass du meinetwegen in Schwierigkeiten gerätst.»
«Ich verspreche dir, dass die Ermittlungen noch eine weitere Stunde ohne mich auskommen werden.»
Valdemar gab sich zufrieden. Er hakte sich erneut bei seiner Tochter unter, und sie gingen in schnellerem Tempo zum Hotel zurück.
Vanja bestellte eine Cola light und ein Glas Wein, während ihr Vater die Speisekarte der Hotelbar studierte. Vanja betrachtete ihn. Sie liebte ihn wirklich. Natürlich liebte sie auch ihre Mutter, aber mit ihr war es immer etwas komplizierter, es gab mehr Streit, und es war ein größerer Kampf um die persönliche Freiheit. Mit Valdemar hingegen ging alles ruhiger zu. Er war anpassungsfähiger. Natürlich stellte auch er sie vor Herausforderungen, aber nur in Bereichen, in denen sie sich sicher fühlte. Es ging nicht um Beziehungen, nicht um ihr Talent.
Er vertraute ihr, und dadurch fühlte sie sich geborgen. Eigentlich hätte sie auch gern ein Glas Wein getrunken, aber vermutlich würde sie heute Abend noch arbeiten müssen oder sich zumindest auf den neusten Stand bringen, da war es besser, bei klarem Verstand zu sein.
Valdemar sah von der Speisekarte auf.
«Mama lässt grüßen. Sie wollte eigentlich
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