Der Mann, der kein Mörder war
zu und tat sein Bestes, sich ein Lächeln abzuringen.
«Mikael, wie schön, dich zu sehen. Ursula hat schon erzählt, dass du kommst.»
«Ist sie hier?»
«Soweit ich weiß nicht, aber ich kann nachschauen.»
«Nein, nicht nötig, sie weiß, dass ich hier warte.»
Torkel nickte erneut. Mikael sah frisch aus. An den Schläfen war sein dunkles Haar leicht ergraut, aber es stand ihm gut. Sie waren ungefähr gleich alt, aber Torkel konnte nicht umhin, sich älter und verlebter zu fühlen. Ihm selbst stand das Alter nicht so gut, und dass Mikael zeitweise mit Alkoholismus zu kämpfen hatte, sah man ihm keinesfalls an. Im Gegenteil, er wirkte sportlicher und gesünder denn je.
Es muss in den Genen liegen, dachte Torkel, überlegte gleichzeitig allerdings auch, ob er sich nicht doch im Fitnessstudio anmelden sollte. Die beiden blieben eine Weile schweigend stehen. Torkel wollte auf keinen Fall unfreundlich wirken, gleichzeitig fiel ihm bei aller Anstrengung aber auch nichts ein, was er sagen konnte. Da es ihm an ehrlichem Interesse mangelte, wählte er die sichere Routinenummer.
«Kaffee? Möchtest du einen Kaffee?» Mikael nickte, und Torkel ging zum Eingang, zückte seine Schlüsselkarte und hielt Mikael die Glastür auf. Sie gingen durch das Großraumbüro zum Aufenthaltsraum.
«Ich habe von dem Mord gelesen. Es scheint ein schwieriger Fall zu sein.»
«Ja, das kann man wohl sagen.»
Schweigend ging Torkel voran. Er und Mikael hatten sich in all den Jahren nur wenige Male gesehen. Vor allem am Anfang, als Ursula neu in der Abteilung war. Damals hatte Torkel die beiden zu Monica und sich nach Hause eingeladen. Zwei-, dreimal vielleicht. Zu dieser Zeit waren er und Ursula lediglich Kollegen gewesen, die sich zusammen mit ihren Partnern trafen. Das war, bevor sie ihre Hotelzimmerbeziehung begonnen hatten. Wie lange ging das nun schon? Vier Jahre? Fünf, wenn man jenen späten Abend in Kopenhagen mitrechnete. Den zumindest er mit kaltem Schweiß auf der Stirn und großer Reue als einmaligen Ausrutscher betrachtet hatte. Etwas, das sich nie mehr wiederholen sollte. Das war damals gewesen.
Heute war es anders. Die Reue und das Beschwören eines einmaligen Ausrutschers waren durch einige ungeschriebene Gesetze ersetzt worden: nur bei der Arbeit, nie zu Hause. Keine Zukunftspläne. Mit dem letzten Punkt hatte Torkel am meisten Probleme. Wenn sie nackt und befriedigt nebeneinanderlagen, war es ihm anfangs schwergefallen, wenn nicht unmöglich gewesen, auf eine Fortsetzung außerhalb der anonymen Hotelzimmer zu verzichten. Aber die wenigen Male, als er die Grenze überschritten und ihre Übereinkunft gebrochen hatte, waren ihre Augen hart geworden, und er hatte wochenlang ohne die gemeinsamen Treffen auskommen müssen. Daraus hatte Torkel gelernt. Keine Zukunftspläne, der Preis war zu hoch.
Jetzt stand er in dem unpersönlichen Aufenthaltsraum und starrte auf den braunen Kaffee, der in den Becher lief. Mikael saß am nächstgelegenen Tisch und nippte an seinem Cappuccino.
Sie hatten den Fall bereits so weit durchgekaut, wie Torkel es für richtig hielt, sodass nun nur noch das Übliche blieb.
Wind und Wetter.
Jetzt ist der Frühling wirklich da.
Was machte der Job?
Eigentlich wie immer, ständig der gleiche Ärger.
Wie ging es Bella?
Danke, gut, sie wird ihr Jurastudium in einem Jahr abschließen.
Spielte Mikael zurzeit Fußball?
Nein, das Knie macht nicht mit, der Meniskus.
Torkel musste die ganze Zeit daran denken, dass er noch gestern Morgen mit Mikaels Frau geschlafen hatte. Er fühlte sich falsch. Durch und durch falsch.
Warum um alles in der Welt hatte Ursula entschieden, dass sie sich ausgerechnet hier mit ihrem Mann treffen wollte? Torkel ahnte den Grund und bekam ihn in der nächsten Sekunde bestätigt, als Ursula hinter ihnen auftauchte.
«Hallo, Liebling. Es tut mir leid, dass ich so spät dran bin.»
Ursula schwebte an Torkel vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und küsste Mikael zärtlich. Dann wandte sie sich Torkel mit einem kurzen, ironischen Augenzwinkern zu.
«Und du hast also Zeit für ein Kaffeepäuschen?»
Torkel wollte gerade etwas entgegnen, als Mikael ihm zur Hilfe kam.
«Ich habe unten in der Rezeption gesessen und gewartet, Torkel wollte nur höflich sein.»
«Eigentlich haben wir nämlich sehr viel zu tun, sogar so viel, dass wir zusätzliches Personal einstellen mussten, hab ich recht, Torkel?»
Tatsächlich. Mikaels Anwesenheit war als Strafe für Torkel gedacht.
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