Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
war, wenn sie all die Grausamkeiten wusste, ob ich überhaupt darüber reden konnte. Sie kam mit zwei Fotos zurück.
„Kurz nach der Entführung, am zweiten Weihnachtsfeiertag, g aben sie mir das da.“
Das Polaroidfoto war dunkel und etwas unscharf. Ich erkannte nicht gleich, was es zeigte, eine Art Kasten, nein, es war mein Kofferraum - und ich darin, gefesselt und in meinem besudelten Ma ntel. Es war das letzte Mal, dass ich meine eigenen Sachen getragen hatte, fiel mir ein. Ich erinnerte mich an das Blitzen, das ich damals für eine Halluzination gehalten hatte. Unterbewusst hatte ich es mit späteren Augenblicken verknüpft, in denen ich ein Blitzen wahrgenommen hatte, und jetzt ahnte ich, was auf dem zweiten Foto zu sehen war. Aber es traf mich doch wie ein Schock, es zu sehen. Melanie schaute weg, als sie es mir reichte. Sie atmete laut und heftig dabei.
„Das war so Ende Januar, etwa einen Monat nach deinem Verschwi nden“, sagte sie leise und mit brüchiger Stimme. „Ich hatte rund sieben Millionen gezahlt, alles, was wir in Wertpapieren hatten, und war dabei, die Sachwerte zu veräußern. Honkes machte Druck, das müsse schneller gehen. Er trat immer ganz offen auf, meldete sich am Telefon sogar mit seinem Namen. Wir trafen uns im Stadtpark am Ententeich. Es war eiskalt und rauchig an diesem Tag. Ich dachte, wo sind eigentlich die Enten, und ich sagte, ich will erst mal einen Beweis, ob du überhaupt noch lebst. Eine Woche später brachte er mir dieses Foto mit.“
Ich sah den Käfig, begriff sofort, denn das Blitzen damals im Keller fiel mir wieder ein, sah mich hinter den Gitterstäben he rvorschauen, meinen kläglichen Anblick, fühlte mich plötzlich wieder darin eingesargt. Mein eigener Anblick versetzte mir einen Schock, den ich körperlich spürte wie einen elektrischen Schlag. Ich hatte all das verdrängt gehabt. Das Foto fiel mir aus der Hand. Melanie beeilte sich, es aufzuheben und in der Tisch-Schublade zu verstauen. Mein Gesicht in diesem Moment, als ich das Foto sah, war wie das Abbild eines Muskelkrampfes, sagte mir Melanie später.
„Entschuldige, ich... Ich hätte laut aufschreien mögen d amals, als mir Honkes das gab, und ich habe ihm gesagt, wenn er dich nicht sofort besser behandelt, dann zahle ich keinen Pfennig mehr und gehe sofort zur Polizei. Er hat mir sein Ehrenwort gegeben, dass er dich aus dem Käfig holt. Hat er?“
Ich nickte und wollte reden, ihr alles erzählen, wirklich a lles, aber bekam den Mund nicht auf. Sie strich mir durch die Haare.
„Wir müssen zur Polizei gehen“, sagte sie leise, aber fest und entschlossen. „Dieser Polizist, der dich in alles reingez ogen hat, an den könntest du dich doch im Vertrauen wenden.“
„An diesen Korinthenkacker? Tut mir leid, Herr Fercher, ich darf keine Namen von Verdächtigen h erausgeben – so einer ist das. Der hilft mir kein bisschen.“
„Aber...“
Ich schüttelte den Kopf, löste mich von ihr, ging zum Fenster, öffnete es und beugte mich hinaus. Verhöre, alles haarklein erzählen müssen, immer wieder, und es dann von ihnen erzählt bekommen: So soll es doch gewesen sein, Herr Fercher, oder? Behaupten sie nicht, dass... Und kommt es Ihnen nicht selbst ein wenig absurd vor, dass...
Wie hätte ich Vorfälle glaubhaft schildern können, die mir selbst unglaublich vorkamen und pei nlich waren bis dorthinaus? Hätten Sie doch dies und jenes gemacht, würde ich mir anhören müssen. Sie hatten doch Rechte. So aussichtslos war Ihre Lage auch dort nicht.
Ein Stoß kalter Luft we hte mir ins Gesicht. Ich atmete ein paar mal tief ein und drückte das, was da in mir hochgekocht war, wieder zurück in die Versenkung. Melanie kam neben mich.
„Ich kann nicht zur Polizei. Bitte, du musst das akzeptieren. Wenn wir unser Geld wiederhaben wollen, muss ich es selbst zurückh olen.“
Kapitel 16
Das war als Schlusspunkt unter dieses Thema gedacht gewesen, nicht als Vorhaben, und Melanie verstand es auch so und wide rsprach nicht. Ich hatte mir im Haus seiner Mutter 5.000 Dollar von ihm zurückgeholt. Erst jetzt begriff ich die Ironie, dass es mein eigenes Geld gewesen war, das meine Rückkehr möglich gemacht hatte, und schon wegen dieser lächerlichen 5.000 Dollar hatte er mir zwei Killer auf den Hals gehetzt und den armen Jakob Neufeld töten lassen. Wer weiß, wo Honkes im Moment überhaupt war, ganz sicher nicht in dieser Stadt. Ihm auch nur einen Teil unseres Vermögens wieder zu entreißen, war ein
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