Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
zu sein, zu träumen oder an einem Film teilzunehmen, mein Körper jedenfalls war bestimmt noch zu Hause, feierte mit seiner Familie Weihnachten oder schlief vielleicht gerade mit seiner Frau. Das hier war nicht wirklich! Ich schaffte es, mir diese tröstende Illusion nicht nur einzureden, sondern fest zu glauben und durch und durch zu empfinden, dieser Alptraum würde irgendwann enden, aber vielleicht wäre es nutzbringend, ihn mitzumachen, statt ihm entfliehen zu wollen, und so geriet ich in eine Geistesverfassung des Hinnehmens unter Schmerzen: Eigentlich betrifft es mich ja nicht, und es hat auch keine Folgen für mein Leben – aber schauen wir doch einfach mal so entspannt wie möglich, was weiter passiert.
Es passierte folgendes, so weit meine Erinnerung es hergibt: Wir fuhren wer weiß wohin und wer weiß wie lang, unter der doppelten Blindheit des Schals und der Decke gab es weder Tag noch Nacht für mich, bis endlich ein vorläufiges Ziel erreicht war, über das ich nur aussagen kann, dass es zugig war, die Luft erfüllt von Benzingestank, der sogar den Muff des Schals übertraf, und dass Motorenlärm dröhnte. Sie zerrten mich aus dem Auto, ich wurde links und rechts untergehakt und ein paar Meter halb getragen halb geschleift, hochgehoben und wieder bäuchlings abgelegt.
„Seine Hände sind ganz blau“, meinte einer beiläufig.
„Da muss er durch“, antwortete ein anderer nicht weniger unbeteiligt.
„Ach, scheiß drauf...“
Jemand ging neben mir in die Hocke und fuhrwerkte an meinem Rücken herum, es klang, als würde sich ein kleiner Schlüssel in einem winzigen metallenen Schloss drehen. Bis zu diesem Moment hatte ich weder Hände noch Arme mehr gehabt und sie nicht mal vermisst. Auf einmal waren sie wieder da – mit Schmerzen, die ich nicht beschreiben kann.
„Tut scheißweh, wenn das Blut zurückströmt, wa“, sagte der n eben mir fröhlich, klopfte mir tröstend auf die Schulter, und für diese kleine menschliche Geste unter diesen unmenschlichen Bedingungen war ich ihm unendlich dankbar und bin es noch heute, obwohl ich ihn zugleich unendlich hasse für alles, wozu er danach noch beitragen sollte, dass es mir angetan wurde.
Für eine Weile lag ich nur da und war ganz vereinnahmt von dem Pochen und Glühen und Knistern in meinen Händen und Unte rarmen. Draußen wurde in einer Sprache herumdiskutiert und gestritten, die ich nicht verstand, es klang wie polnisch oder russisch. Ich empfand die Stimmen als draußen, obwohl ich nicht hätte sagen können, ob es überhaupt ein Drinnen war, wo ich mich befand, aber es klang so und fühlte sich so an.
Gewissheit wurde aus dieser Einschätzung, als mehrere Personen einstiegen, zwei waren es mi ndestens, sich anschnallten, einen Motor anwarfen und sich das Drinnen als Cockpit eines Flugzeugs herausstellte, wahrscheinlich einer kleinen Sportmaschine. Ein kurzer Anlauf, und dann überwältigte mich das Gefühl, dass der Boden unter mir zu schweben begann. Vom Moment des Abhebens an schaukelte die Maschine heftig. Ich schnappte nach Luft, erwischte einen Schwall Muff aus dem Schal und den abgetragenen Klamotten, in die man mich gezwungen hatte, und augenblicklich war mir so übel wie nie zuvor.
„Ich muss mich gleich übergeben“, rief ich gegen den Motore nlärm an.
„Scheiße!“
Ich erkannte die Stimme von Honkes. Er begann herumzukramen und schimpfte dabei: „Du bist vielleicht eine Flasche, Mann! Beim kleinsten Ding muss er immer gleich kotzen, ein richtiges Muttersöhnchen.“
Diesmal fühlte ich mich nicht beschämt, es pac kte mich die Wut.
„Tut mir leid, dass ich dir solche Umstände mache, du Arsc hloch!“, schrie ich.
Finger krallten sich in meine Haare, rissen mir den Kopf hoch und steckten mein Gesicht in etwas hinein, es fühlte sich an, als ob er mir eine Tasche über den Kopf zog.
„Kotz dich aus, Muttersöhnchen.“
„Spinnst du“, kam es vom Piloten, „da gehört das Kartenmater ial rein, das Ding müssen wir wieder abgeben.“
„Ach leck mich!“
Die Tasche wurde mir wieder vom Kopf gezogen.
„Nimm doch den Plastikbeutel.“
„Geht nicht, der passt ihm nicht über seinen Schädel.“
„Dann reiß ihn auf und leg ihn unter, Mann.“
Ich hörte ein Zerren und Rupfen, der Kopf wurde mir wieder hochgebogen, der Plastikbeutel untergelegt, der Kopf fallengelassen.
„Reiß dich zusammen, klar. Wenn du kotzt, bleibste drin li egen, bis wir gelandet sind.“
Irgendwie gelang es mir, mich nicht zu
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