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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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leichter als erwartet gelang es mir, mich aufzurichten. Draußen im Flur wurde es lauter, unterdrücktes Gejohle erklang, Honkes bat sich zischend Ruhe aus. Eine neue Stimme kam hinzu, eine russische, die Haustür wurde geschlossen, das Geraune kam näher. Ich stieß mich aus meiner Ecke ab und gab meinen Beinen den Befehl zum Rennen. Heraus kam ein Stolpern, aber ich kam vorwärts, ohne zu fallen. Als ich in der Mitte des Raumes ankam, erschien das lüstern grinsende Gesicht eines Mannes mit nach hinten gekämmten Haaren und Dreitagebart in der Tür. Er war dabei, sich die Hose zu öffnen.
    Als er mich durch den Raum stolpern sah, erstarrte sein Gri nsen. Er nahm die Hände vom Hosenstall und machte einen Satz auf mich zu. Es waren nur noch zwei, drei Meter zum Fenster. Ich wollte meine Schritte beschleunigen, aber blieb an etwas hängen. Im selben Moment stieß sich der Mann ab, hechtete auf mich zu und riss mich über einen der Stühle zu Boden. Unter mir zerbrach die Bierflasche. Ich fiel mit dem rechten Oberarm in die Scherben, den Mann auf mir.
    „Der Wahnsinnige wollte durchs Fenster!“, hörte ich einen verkü nden, als hätten die anderen das nicht auch bemerkt. Über mir und rings um mich war der Raum nun voll Menschen.
    Honkes drängte sich nach vorn, wälzte den Mann auf mir zur Se ite, packte mich mit beiden Händen um den Hals und riss mich auf die Beine, als sei ich leicht wie eine Strohpuppe. Am rechten Ärmel meines Pullovers hingen Scherben, aber ich war unverletzt. Für Sekunden hielt er mich am Hals gepackt. In seinem Gesicht flackerten Wut und gleichzeitig eine schurkenhaft-vertrauliche Anerkennung. Die Wut gewann die Oberhand, und er versetzte mir eine Ohrfeige, die mich von den Füßen riss.
    Sofort war er wieder über mir, beförderte mich auf gleiche We ise wie zuvor in die Senkrechte, und ich dachte daran, ihm in den Unterleib zu treten, bevor er mir noch einmal ins Gesicht schlagen konnte, egal, was das für Folgen haben mochte. Er schleuderte mich herum, zwang mich auf den Stuhl und zog mir den Schal gar ganz vom Kopf. Mein anderes Auge war von Licht geblendet, so dass ich ein einziges Durcheinander sah. Honkes kam mit dem Gesicht auf Zentimeter an meines herunter und sagte mit fester, beherrschter Stimme einen Spruch, der mir vorkam wie lange zurechtgelegt und der nun, nach meinem Fluchtversuch, recht deplatziert daherkam aber offenbar nicht ungesagt bleiben konnte:
    „Du hast mich in deinem Land ins Gefängnis gebracht. Jetzt bringe ich dich in meinem Land ins Gefängnis.“
    Ich dachte: Das ist verrückt – das ganze Theater also doch nur aus Rache!
    „Los jetzt!“, befahl er. Und es begann eine absurde Inszeni erung, von der ich nur begriff, dass Honkes der Regisseur war und ich offenbar das Publikum.
    Er hob den Stuhl mitsamt mir darauf hoch, setzte ihn und mich e inen Meter abseits an die Wand, ging neben mir in die Hocke und dirigierte die drei Männer, die mit im Raum waren, um sich und mich Aufstellung zu nehmen. Er sagte etwas auf Russisch in Richtung Tür. Ein schwarzgekleideter Mann mit schwarzer Henkerskapuze über Kopf und Gesicht kam ins Zimmer. Er zerrte eine mit Handschellen gefesselte Frau hinter sich her. Sie war schlank, unter der geblümten Bluse wölbte sich ein ansehnlicher Busen. Unter dem knappen, hochgerutschten schwarzen Rock war ein Bein der schwarzen Strumpfhose zerrissen und verästelte sich in Laufmaschen, ihr Knie war blutig. Sie trug ein Goldkettchen mit Kruzifix um den Hals. Von ihrem Gesicht war kaum etwas zu erkennen. Man hatte sie geknebelt, ihr die Augen verbunden und mit einem weiteren schwarzen Tuch auch die Ohren, so dass vom Kopf nur die Nasenspitze, die Stirn, das Kinn und ein paar Büschel braune Haare zu sehen waren.
    „Oh Mann, die ist genau richtig“, sagte der Kerl mit den nach hinten gekämmten Haaren und dem Dreitagebart, starrte auf i hren Busen und fingerte wieder an seinem Reißverschluss. Der Schwarzgekleidete ereiferte sich, als er das sah, unter seiner Kapuze mit einem Schwall russischer Sätze.
    „Was will der?“
    „Er will das selber machen“, antwortete Honkes ruhig und stand auf. Er ermunterte den Schwarzgekleideten mit einer Geste und einem russischen Satz.
    „Was?“
    Das Gesicht unter dem Dreitagebart verzerrte sich, er machte einen Schritt auf Honkes zu.
    „Ich hab dir den Arsch gerettet! Ich hab sie mir verdient!“, b eschwerte er sich lauthals.
    „Bild dir bloß nichts ein“, antwortete Honkes ohne ihn

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