Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
sich mein Körper abzeichnete. Und natürlich bestand auch die Gefahr, dass der Besitzer der Koje bei meinem Anblick Rabatz machen würde und mir gar keine Möglichkeit ließ, ihn um Hilfe zu bitten. Aber viel wahrscheinlicher war es doch, dass alles gut ausging.
Ich malte mir das Szen ario aus, dass Fahrer und Beifahrer einfach einstiegen, ohne einen Blick in die Kojen zu werfen, dass sie losfuhren und ich mich viele Kilometer weiter im Westen zu erkennen geben konnte, ohne dabei Aufsehen zu erregen, und dass man mich als Blinden Passagier akzeptieren und mir helfen würde – immerhin war das hier ein Hilfsprojekt für Menschen in Not.
Ich klammerte mich an den Gedanken, in dieser Koje den Weg nach Westen zu verbringen. Komfortabler konnte man kaum reisen. Das Gefühl der Gegenwart, hier zu liegen und auf meine Abreise zu warten, und das Gefühl, bereits unterwegs zu sein, verfloss in meinem fiebrigen Kopf zu einem Durcheinander abrupt wechselnder Szenen und Bewusstseinszustände. Ich weiß nicht, ob ich schlief oder die ganze Zeit wach war und fantasierte oder im Halbschlaf vor mich hinträumte.
Bewusst wurde ich mir der Gegenwart erst wieder, als ich durch ein schabendes Geräusch unmittelbar neben mir aufgeschreckt wu rde. Das Kratzen kam von der Ladefläche des Sattelzuges. Jemand machte sich an der Ladung zu schaffen. Erst jetzt wurde mir klar, dass ich heftig zitterte. Ob durch den Schreck ausgelöst oder meine Krankheit, ich kam nicht dagegen an. Die Zähne klapperten mir aufeinander, was mir überlaut erschien, ganz sicher war es durch die dünne Metallwand auch hinten noch zu hören.
Das Schaben hörte auf, leise Schritte entfernten sich über die Ladefläche, ein Sprung auf die Straße, Schritte um den L aster herum, oder waren die Schritte mein eigenes Zähneklappern? Hätte ich Schritte da draußen hier drin überhaupt hören können?
Ich drehte mich für alle Fälle aus meiner Seitwärtslage auf den Rü cken und machte mich bereit zum Angriff. Wenn es Billardkugel sein würde, bekäme er meine Faust mitten in sein rundes Gesicht. Ich spürte ganz deutlich, wie ich meine rechte Faust ballte, die Fingernägel gruben sich in meine Handfläche. Dazu kam von irgendwoher das Bild meiner rechten Faust in ihrem Grab auf dem Friedhof nebenan. Wie konnte ich sie hier drinnen spüren und zugleich das inzwischen gewohnte Brennen am Stumpf, genau da, wo der Arm mir fehlte?
Ich verlagerte meine Haltung und ballte die linke Faust. Die Fi ngernägel in der Handfläche und den Daumen über dem vorletzten Glied des Mittelfingers spürte ich genauso deutlich wie rechts, wo ich doch schon aufgehört hatte, mir ein Faustballen einzubilden. Das Schloss der Fahrertür schnappte leise krachend aus der Verriegelung, ich spürte den Sog des Unterdrucks beim Türöffnen in meinem Versteck, ein Fuß wurde auf den Tritt gesetzt. Ein anderer Mensch drang in meinen Raum ein, ich spürte seine Anwesenheit und spürte zugleich, dass er auch meine Anwesenheit fühlte.
Ich zielte mit meiner Faust dorthin, wo das verhasste Gesicht e rscheinen musste, dachte an Honkes Steinwurf gegen meine Haustür und konzentrierte mich darauf, alle Kraft in den Schlag zu legen. Meine verdammten Zähne bebten, so fest ich auch die Kiefer zusammenpresste, es musste ein Mahlen und Schaben zu hören sein. Mein Körper zitterte unkontrolliert. Die Gegenwart des Eindringlings war kurz davor, mit meiner aufeinanderzutreffen.
„Herr Fercher“, hörte ich eine leise Stimme, „sind Sie hier drin in der Koje? Ich will Sie nicht e rschrecken.“
Es war die Stimme von Pastor Näb. Eine Falle? Und wenn es e ine war, ich saß bereits darin. Ich zog mir das Bettzeug vom Kopf und gab mich zu erkennen.
„Gott sei’s gedankt, hier sind Sie“, sagte der Pastor. Er saß auf dem Fahrersitz und hatte sich in meine Richtung verrenkt. Auf dem Tritt stand Petrowna und beugte sich, dicht an ihn g edrängt, zu mir herein. Sein Blick war zornig, fast hasserfüllt.
„Hier kann er nicht bleiben. Was fällt dem überhaupt ein, sich ungefragt in mein Bett zu legen?“
Mein Zittern brach sich Bahn, meine Zähne klapperten. Ich wollte mich rechtfertigen, aber konnte nicht. Pastor Näb beugte sich zu mir nach hinten, fühlte meine Stirn und antwortete für mich.
„Pirmin, ich sag dir doch, er weiß nicht, wohin er sonst sol lte. Du musst ihn mitnehmen.“
„Fällt mir nicht ein, jetzt schon gar nicht. Der drängt sich ei nfach hier auf. Wie damals in meinem
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