Der Mann, der nicht geboren wurde
runterschieÃen oder -werfen! Holt Steine!«
Der Mörder ging seitlich langsam zu einer Dachkante, die von unten
aus nicht gut eingesehen werden konnte, weil eine Hofmauer der Menge den Weg
versperrte. Dabei schlug er seine Kapuze zurück. Ja, es war Lundis. Das eine
Auge war gröÃer als das andere. Er hatte die schwarze Nadel nun wieder in der
Hand. Und er hörte gar nicht mehr auf zu grinsen.
Bestar näherte sich ihm mit kampfeshungrigem Schwert. Doch Lundis
hatte gar nicht vor zu kämpfen. Mit durchdringender Stimme schrie er aus
Leibeskräften: »Er will mich erstechen! Der Riese will mich erstechen!
Neiiiiinnn! Ahhhhhhhhhhhhhhrrrrrrrr!« Dann rammte er sich selbst mit beiden
Händen die Nadel durch den Gaumen in den Kopf. Er gurgelte noch kurz, schnaubte
öliges Blut aus der Nase und stürzte dann rückwärts in die Tiefe, wo er mit
staubigem Krachen aufs Hofpflaster schlug.
Bestar blieb wie vom Blitz getroffen stehen.
Er hatte das Gefühl, lachen zu müssen.
Er hatte so etwas erst vor Kurzem schon einmal erlebt. Im Thostwald
hatte sich ein Verfolgter namens Glauber Gudvin den eigenen Dolch in die Brust
gestoÃen, nur um nicht von Eljazokad, Tjarka und Bestar verhört werden zu
können. Bestar fand so etwas vollkommen absurd. Ein Klippenwälder würde sich
nie selbst das Leben nehmen, niemals, unter keinen Umständen. Solange noch ein
einziger Tropfen Blut in den Adern pumpte, konnte man noch kämpfen und Gegner
mit sich ins Verderben reiÃen. Selbstmord war nur etwas für ausgemachte
Schwächlinge.
Aber Bestar begriff, dass das eben kein Selbstmord gewesen war,
sondern Mord. Eine extrem gut ausgeklügelte Falle. Lundis war auch nichts weiter
als ein Werkzeug, auch nur ein gelenkter Träumer wie Rodraeg und die hübsche
Scela. Der wirkliche Mörder war noch nie in Erscheinung getreten und würde sich
wahrscheinlich auch nie erwischen und verfolgen lassen. Ein übermächtiger
Feind, so unantastbar wie ein Gott.
Bestar wurde klar, dass er jetzt alles vermasselt hatte. Man würde
ihm diesen Mord anhängen, denn niemand rammte sich selbst eine Nadel in den
Kopf. Man würde ihm auch Adsar und Estéron anhängen, denn es hatte ja beinahe
Zeugen gegeben. Man würde sich sogar noch erinnern, dass das alles in der Nähe
des Mammut hauses stattfand. Man würde sie alle
verhaften und wegschlieÃen.
Aber Bestar wollte sich nie wieder gefangen nehmen lassen. Nach der
giftigen Schwarzwachshöhle von Terrek und der gnadenlosen Foltergrube im
Thostwald hatte er sich das geschworen.
Nie wieder.
Das Einzige, was er jetzt noch für das Mammut tun
konnte, war, alle Schuld auf sich zu nehmen und sich dann mit Skergatlu aus
Warchaim herauszuschneisen.
Er sah unten im Hof einen Heuballen und sprang in die Tiefe. Dadurch
entging er einem zweiten Pfeil, der unter allgemeinem Wut- und
Entsetzensgeschrei auf ihn abgefeuert wurde. Mühsam, regelrecht Sterne sehend
aufgrund des Aufpralls, kam Bestar von dem Ballen herunter wieder auf die Beine.
Bürger hatten ein Tor aufbekommen und stürmten zu zehnt in den Hof. Bestar
rannte ihnen entgegen, schreiend wie ein Wahnsinniger und Skergatlu schwingend.
Sie duckten sich und machten im panisch Platz. Einer machte sich tatsächlich in
die Hose.
Er gelangte auf die StraÃe. Der Pöbel war wie eine riesige
Brandungswelle, fackelschwingend und heugabelgezackt. Bestar sah eine Lücke
nach Norden, stadtauswärts. Dorthin rannte er, ohne auf Ausdauer zu achten, so
schnell seine FüÃe ihn trugen. Zwei Männer traten ihm lebensmüde mit
ausgestreckten Händen entgegen, aber er stürmte einfach durch sie hindurch,
dass sie zu Boden klatschten und liegen blieben. Die Menge fiel zurück,
behinderte sich mit ihren vielen Beinen selbst, war von der bis zum Blutdurst
getriebenen Empörung torkelig wie von einem viel zu schweren Wein. Doch aus dem
Osten nahte schon die nächste Gefahr, und sie nahte auf funkenstiebenden Hufen.
Gardisten. Beritten. Drei Mann. Mit wappenbewimpelten Lanzen bewaffnet.
Niemals hätte Bestar einem Pferd etwas angetan. Aber die Gardisten
waren gut gepanzert, sie brauchten nicht geschont zu werden. Bestar rannte
ihnen entgegen, um ihnen die Zeit zum kalkulierten Angreifen abzuschneiden. Die
erste Lanze wurde geschleudert und glitt über Bestars wegduckende Schulter
hinweg. Bestar drosch dem vorbeireitenden Gardisten Skergatlu flach vor
Weitere Kostenlose Bücher