Der Mann der nicht zu hängen war
Landes...?«
»Herr Bürgermeister, liebe Kollegen, bevor wir über die Wahlen diskutieren, möchte ich hier ein Problem ansprechen, das mich seit Tagen sehr beunruhigt. Sie haben sicherlich gemerkt, daß der Vulkan...«
»Ich bitte Sie, Herr Studienrat!« fällt ihm Monsieur Fouche ins Wort. »Dafür haben wir im Augenblick wirklich keine Zeit, wo wir gerade Gefahr laufen, die Wahlen zu verlieren!«
»Ja, ja, ich weiß schon, aber trotzdem, der Vulkan stößt Rauch aus! Zum ersten Mal seit fünfzig Jahren.«
»Mein lieber Monsieur Landes, Sie mögen zwar in unserem Gymnasium Lehrer für Naturwissenschaften sein, aber wenn ich mich nicht irre, sind Sie doch erst seit zwölf Jahren bei uns, oder? Unser Vulkan aber verhält sich seit über 12 000 Jahren friedlich. Und wenn es ihm Spaß macht, alle fünfzig Jahre mal ein wenig zu rauchen, so gönnen wir es ihm und lassen wir uns deswegen nicht vom Wahlkampf ablenken. Oder wollen Sie vielleicht, daß die Opposition gewinnt?«
Daraufhin schweigt Monsieur Landes selbstverständlich.
Am selben Tag kommt Schwester Marguerite-Marie unangemeldet und sichtlich aufgeregt zu Pfarrer Clement: »Hochwürden, wir machen uns große Sorgen. Unser Kloster liegt genau am Fuß des Vulkans, und seit ein paar Tagen...«
»... raucht er, ich weiß.«
»Ja, aber das ist es nicht allein. Wissen Sie, die Vögel zwitschern nicht mehr, sie sind zwar alle noch da, aber ganz stumm, wie ausgestopft. Sie wissen ja, Hochwürden, was der Volksmund dazu sagt.«
»Meine Tochter, beruhigt Euch wieder. Wahrscheinlich stört der Rauch die Vögel, das ist alles. Also geht in Frieden, Gott sei mit Euch!«
Etwa zur gleichen Zeit spielt sich zwei Kilometer nördlich der Stadt eine ähnliche Szene beim Fabrikdirektor ab. Einige Arbeiter stürzen — ebenfalls unangemeldet und sehr aufgeregt — in sein Büro: »Monsieur Guerin, wir alle haben schreckliche Angst! Der Vulkan! Er raucht immer mehr, und außerdem haben wir es alle ganz deutlich gehört: Es brummt und donnert unter der Erde. Und die Fabrik steht direkt im Tal. Wir wollen hier weg!«
»Aber, aber, keine Panik! Schon vor fünfzig Jahren hat der Vulkan geraucht, gegrollt, ja sogar Feuer gespuckt, und nichts ist passiert. Aber bitte, wenn es euch beruhigt, so werde ich selbst zum Krater hinaufsteigen und nachsehen. Ich hoffe, das genügt.«
In der Tat macht sich der Generaldirektor auf den Weg zum Krater. Und bald stellt er fest, daß der Bach, der vom Berg herunter sprudelt, wärmer ist als sonst. Seltsam. Außerdem ist er viel breiter geworden. Auch seltsam. Und was den Krater selbst betrifft — nun, er stößt tatsächlich einen dicken, gelblichen, stinkenden Rauch aus, aber sonst nichts. Also steigt Monsieur Guerin wieder ab und geht sofort zu seinen Arbeitern: »An die Arbeit, ihr Angsthasen.«
Besonders wohl fühlt er sich dabei allerdings nicht, zumal da ihn noch dazu seine Frau beim Abendessen anspricht: »Ich mache mir auch Sorgen. Meinst du nicht, es wäre besser, wenn ich mit dem Jungen für einige Tage verreise?«
An diesem 28. April berichtet der Journalist ausschließlich über die Wahlen. Der Gouverneur, Monsieur Moutet, ist nicht da. Wie es sich gehört, residiert er in der dreißig Kilometer entfernten Hauptstadt der Insel. Joseph Jean-Marie, der wegen Diebstahls im Stadtgefängnis sitzt, ist schlechter Laune. Zum ersten Mal beschimpft er den Wärter. Also steckt man ihn zur Strafverschärfung in ein sehr tiefes, sehr feuchtes, sehr dunkles Verlies. Kein Licht, nur ein kleines Guckloch an der schweren Tür. Da wird er schon lernen, wie man sich zu benehmen hat.
Dienstag, 29.April: Der Vulkan stößt nun richtige Dampfwolken aus. Freunde des Fabrikdirektors wollen die Sache näher betrachten und steigen zum Krater hinauf. Normalerweise ruht darin ganz tief unten... eine dickflüssige Masse. Doch heute kocht das Magma bis zum Rand. Vielleicht sollte man die Launen des Berges doch ernst nehmen! Monsieur Guerin aber zuckt nur mit den Achseln: »Na gut, dann kocht es eben!« Mittwoch, 30. April: Der Journalist ist Feuer und Flamme. Er schreibt begeistert: »Wir erleben zur Zeit zwei Vulkanausbrüche, einen im Gebirge, den anderen in den Gemütern der Politiker. Hier ein Ausbruch von Reden, Geldspenden und Wahlversprechen. Da ein Ausbruch von Rauch und Asche. Der >Wahl-Vulkan< wird auf alle Fälle bis zum 11. Mai sein Unwesen treiben. Doch der andere? Wer vermag es vorauszusagen? Hoffen wir das Beste!«
Der Bürgermeister
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