Der Mann der nicht zu hängen war
über die Verzögerung sichtlich verärgert — klemmt mit seinen mächtigen Stahlkiefern den Aktenkoffer eines der beiden Männer ein und zuckt dabei ganz eigenartig, als hätte es plötzlich einen Schluckauf. Doch dann beruhigt es sich wieder. Und mit einem tiefen elektronischen Seufzer befreit es den armen Aktenkoffer aus seiner stürmischen Umarmung.
Gleich darauf schließt der Aufzug unwiderruflich seine Türen und setzt sich nach oben in Bewegung.
»Welches Stockwerk?«
»Elftes.«
Der Mann, der seinen Mitreisenden gehetzt fragte, drückt also zuerst auf die Acht, dann auf die Elf. Er macht einen ausgesprochen nervösen Eindruck, ist offensichtlich in Eile, schaut dauernd auf seine Uhr und starrt auf die aufleuchtenden Ziffern.
Zweiter Stock. Der Fahrstuhl stoppt und läßt sich jetzt auf einmal unendlich viel Zeit! Eröffnet gemächlich die schweren Türen, wartet auch noch einige Sekunden lang, obwohl weit und breit kein Mensch zu sehen ist, und entschließt sich dann endlich, seine Fahrt fortzusetzen. Bis zum dritten Stock. Da stoppt er wieder, öffnet einladend die Türen, wartet. Doch sein Kollege war anscheinend gerade da und ist mit all den wochenendfrohen Bürokräften schon wieder auf dem Weg nach unten.
»Das darf doch nicht wahr sein!« empört sich der eine. »So eine Bummelfahrt! Wirklich idiotisch! Können diese klugen Maschinen mit ihren elektronischen Augen denn nicht sehen, daß da niemand steht?«
»Regen Sie sich doch nicht so auf«, entgegnet der andere. »Sie wissen ganz genau, daß viele Leute immer bei jedem Stockwerk auf den Knopf drücken müssen. Sie tun’s bestimmt auch, wenn Sie nach unten wollen. Der Fahrstuhl kann sicher nichts dafür.«
»Ja, ich weiß! Aber ich habe einen wichtigen Termin! Ich hätte schon um 18 Uhr da sein sollen.«
Mit höflicher Gleichgültigkeit lächelt der andere Mann, der wahrscheinlich keinen so wichtigen Termin hat. Wenn er vorher gerannt war, dann nur wegen des scheußlichen Wetters. Jetzt hat er Zeit und kann es sich leisten, leicht amüsiert das Nervenbündel neben sich zu betrachten: »Fünfter Stock — durch! Na also...«
Doch plötzlich vibriert das Monstrum und bleibt ohne ersichtlichen Grund stehen, einfach so, zwischen zwei Stockwerken.
Das Nervenbündel drückt wütend auf die Acht. Nichts. Noch einmal und immer wieder: nichts. Es tut sich überhaupt nichts! Vielleicht funktioniert es bei der Elf? Auch nicht. Und er drückt und drückt... auf E, auf 1, auf 2. auf 5. auf 12, auf 14 — nichts, absolut nichts! Nur das Lieht scheint reagieren zu wollen: Es blinkt und wird immer schwächer.
»Hören Sie doch auf«, meint der andere. »Wenn diese hochsensiblen Maschinen mal streiken, dann tut man besser daran, sie nicht weiter zu verärgern. Wenn Sie schon gerne auf Knöpfe drücken, dann drücken Sie wenigstens auf den richtigen! Da steht es doch: >Alarm — Knopf drücken und Hörer abheben.< Also klingeln Sie, und der Hausmeister wird sich vielleicht melden — das heißt, wenn er nicht gerade in der Kneipe nebenan sitzt!«
Der Zappelmann schaut ziemlich verdutzt, sammelt sich wieder, klingelt, nimmt den Hörer ab... und wartet. Doch als jetzt auch noch die Leitung tot zu sein scheint, fängt er wieder an, wie ein Wilder zu toben, herumzuhüpfen.
»Hallo! Verdammt nochmal! Hört mich denn keiner?« brüllt er ins Telefon. »Wo bleiben Sie denn? Der Fahrstuhl ist steckengeblieben. Hallo! Melden Sie sich doch endlich! Hallo!«
Wirklich eine ganz dumme Situation. Eine von diesen banalen Geschichten, die einem nie selbst passieren. So etwas erleben immer nur die anderen, und man macht dann gern seine Witze darüber.
Doch an diesem Freitag um 18 Uhr 21 anno 1980, mitten in London, finden Mike Osborn und Alister Colby die Lage allmählich gar nicht mehr so witzig. Der Teufel in Person muß seine Hände im Spiel haben! Oder ist es wirklich reiner Zufall, daß gerade diese beiden Männer, die sich vorher niemals gesehen haben, jetzt in einem winzigen, hermetisch abgeschlossenen Raum eingesperrt und gezwungen sind, so lange miteinander zu reden, bis sie etwas entdecken, das sie auf eigenartige Weise miteinander verbindet?
»Es ist doch völlig idiotisch!« tobt Osborn. »Wozu werden Telefone in diesen verfluchten Liften installiert, wenn niemand da ist, wenn was passiert?«
»Nur Geduld, lieber Mann, es wird schon jemand rangehen — heute oder morgen... wer weiß. Den Hausmeister kenne ich ganz gut. Ich wette, er sitzt gerade nebenan
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