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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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logischere Erklärung für den Traum des Bischofs geben.
    Jeder, der damals von dem Fall erfuhr, war nur allzu schnell bereit, die ganze Geschichte mit Telepathie erklären zu wollen. Telepathie — ein Untersuchungsbeamter kann sich damit nicht zufriedengeben. Noch dazu in seinem schriftlichen Polizeibericht! Angenommen, es wäre wirklich Telepathie im Spiel gewesen, so hätte sich einzig und allein der Mörder selbst dem Bischof mitteilen können. Denn nur er konnte zwölf Stunden vor dem Attentat wissen, was geschehen würde.
    Doch der skeptische Polizeibeamte findet bald heraus, daß die näheren Begleitumstände des Attentats — Ort, Zeitpunkt etc. — selbst dem Mörder noch nicht bekannt sein konnten. Am 28. Juni gibt es nämlich zwei Attentate! Das erste findet bereits gegen Mittag statt. Es scheitert jedoch. Der Attentäter wird sofort festgenommen. Doch Franz Ferdinand und seine Gemahlin Fürstin Hohenberg, die dabei übrigens leicht am Hals verletzt wurde, bestehen darauf, dennoch im offenen Wagen ihren Weg durch Sarajewo fortzusetzen.
    »Dann nehmen wir zumindest einen anderen Weg«, schlägt ein General vor.
    Und gerade dieser Vorschlag ist verhängnisvoll. Denn dadurch entsteht ein ziemliches Durcheinander, und schließlich bleibt die Wagenkolonne im Labyrinth der engen Gassen Sarajewos stecken. Und als der Chauffeur versucht, rückwärts aus einer Sackgasse herauszukommen, nutzt der serbische Student die Gelegenheit, springt auf den Wagen zu und schießt. Ort und Zeitpunkt dieser Tat konnten also niemandem, auch nicht dem Mörder, vorher bekannt sein.
    Sicher eine gewagte Beweisführung, aber wenigstens für den Polizeibeamten ist dadurch völlig klar, daß es sich auf keinen Fall um Telepathie handeln konnte. »Dann hatte Bischof von Lanyi doch recht«, meinte der Hof in Wien. »Er hatte eben einen prophetischen Traum. Er hat in die Zukunft sehen können!«
    »In seinem Traum hatten aber zwei Männer das Attentat ausgeübt! Was wiederum beweist, daß er sich mit seiner >Prophezeiung< irrte!«
    »Aber nein, ganz im Gegenteil. Es gab ja auch zwei Attentate. Die Tatsache, daß der Bischof zwei Mörder in seinem Traum sah, zeigt doch das Prophetische seines Traumes.«
    Und dennoch bleibt der ungarische Polizeibeamte bei seiner Erklärung des Falles: Für den Kaiserlichen Besuch in Sarajewo, am 28. Juni 1914, fürchtete man das Schlimmste. Hatte doch Franz Ferdinand selber so gegen zehn Uhr morgens bemerkt: »Heute werden wir einige Kugeln pfeifen hören!« Ein solches Attentat, noch dazu an einem serbischen Nationalfeiertag — und Bosnien war der Herrschaft der Habsburger seit langem schon überdrüssig—, war nur allzu naheliegend. Bischof Joseph von Lanyi wußte es auch. Und hatte Angst um seinen Freund. Ist es da noch so erstaunlich — unter diesen Bedingungen —, daß er einen Alptraum hatte, in dem er genau sah, was er und alle Welt befürchtete? »Aber all die Einzelheiten?« zweifelte der Hof in Wien. Auch darauf ist die Antwort ganz einfach: Die Einzelheiten, die uns so genau erscheinen, sind in Wirklichkeit ganz logisch. Die Hoheiten saßen in einem offenen Wagen? Sicher, bei solchen Anlässen fuhren sie immer in einem offenen Wagen. Der junge Mörder? Nun, die meisten Attentäter sind jung. Der sonnige blaue Himmel? In Sarajewo Ende Juni ziemlich wahrscheinlich. Die breitere Straße und die enge Gasse? Na ja, typisch wohl für jede Stadt.
    Der Traum von Sarajewo — Telepathie oder Prophezeiung? Für den ungarischen Polizeibeamten war alles ganz logisch. Aber wohl nur für diesen.
     

Die Retourkutsche
     
    L ondon: Graue Nebelschwaden, hochgeschlagene Kragen, triefende Regenschirme. Zwei Männer stürzen gleichzeitig in die große Halle eines Bürohochhauses. Es ist Freitag, 18 Uhr 15. Feierabend. Alle zwei Minuten spucken zwei riesige Fahrstühle portionsweise Massen von Menschen aus. Männer und Frauen, die sich auf das bevorstehende Wochenende freuen. Ein wimmelnder Ameisenhaufen, der sich sofort in alle Richtungen auflöst.
    18 Uhr 16: Einer der Fahrstühle, kaum entleert, schließt schon wieder seine automatischen Türen. Keine Zeit zum Verschnaufen! Er muß eilends wieder nach oben, wo auf jedem Stockwerk ungeduldig auf den Knopf gedrückt wird.
    Die beiden Männer, die hastend gegen den Menschenstrom ankämpften, schaffen es gerade noch, sich zwischen den schließenden Türen hineinzuschieben. Das Monstrum von Aufzug — dadurch offensichtlich in seinem Programmablauf gestört und

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