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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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manipulierten zahlreiche andere Daten.
    Ein paar Tage später war die Versicherung schachmatt.
    Zumindest in der Simulation. Im wahren Leben hätte sie Gläubigerschutz beantragen müssen, um sich vor dem Untergang zu retten. Die Mitarbeiter des Unternehmens wussten ja nicht, dass alle Daten, die sie von ihren Monitoren ablasen, ihnen nur eine Scheinwirklichkeit vorgaukelten.
    An diesem Punkt beendete Kogan den Spuk in einer Videokonferenz mit dem Vorstand der Versicherung. Die Manager sahen aus, als hätten sie einen gewaltigen Kater. Mit säuerlichem Lächeln bedankte sich der Direktor bei den Studenten für ihre Hilfe zur Verbesserung der Security-Infrastruktur.
    »Gratuliere«, sagte Kogan, nachdem die Schaltung nach Springfield beendet war. »Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen.

    Aber was Sie in den letzten Tagen geleistet haben, war nur eine Fingerübung. Wenn das, was wir hier tun, auch wie ein Computerspiel aussieht, ist es doch weit mehr als das. Sie wissen so gut wie ich, dass nach den Anschlägen vom 11. September die Gefahr eines Großangriffs aus dem Internet täglich wächst. Wenn ein Krieg im Cyberspace abgewehrt werden kann, wird man das vielleicht der Gruppe verdanken.
    Doch dazu müssen Sie besser als der Feind sein. Sie müssen lernen, wie man andere täuscht, weil er auch maskiert auftritt.
    Es ist wie bei einer Schachpartie, in der sie den Gegner so lange wie möglich über die eigene Strategie im Unklaren lassen.« Er klatschte in die Hände. »Und nun wieder an die Arbeit. Als Nächstes wollen wir uns einen etwas größeren Brocken vornehmen. Genauer gesagt, mehrere Ziele zugleich.
    Strengen Sie sich an, Cyberwarriors. Ihr Land braucht Sie.«

    Karim war kreidebleich. Er fühlte sich, als stünde er auf dem Deck eines schwankenden Schiffs. Langsam erhob er sich aus seinem Drehstuhl und schlich zu Kogan, der wie so oft vor der schmutzigen Fensterwand stand, als könne er die Frachter im Inneren Hafen von Boston sehen.
    »Kann ich Sie sprechen, Meister?«, flüsterte er.
    Kogan wandte sich ihm zu. »Karim! Was ist mit Ihnen? Sie klingen so besorgt.«
    »Das würde ich gerne mit Ihnen unter vier Augen… Ich wollte sagen F2F bereden.« F2F war eine in der Computerszene übliche Bezeichnung für face to face – »von Angesicht zu Angesicht«.
    Der Leiter der Gruppe tastete nach Karims Arm. »Sicher doch, mein Junge. Kommen Sie, führen Sie mich nach draußen.«

    Die beiden ließen die High-Tech-Insel und den Coldspot hinter sich zurück, fuhren mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss und verließen die Fabrik. Während sie Seite an Seite in Richtung Fish Pier spazierten, machte Karim sich Luft.
    »Ich glaube, mir ist ein Fehler unterlaufen.«
    »Inwiefern?«
    »Meine Bank… Ich wollte sagen, der Hypotheken-Finanzierer, den Sie mir zugeteilt haben, ist bankrott. Sie haben heute Gläubigerschutz beantragt.«
    »Dann sollten wir den Vorstand anrufen und die Sache aufklären.«
    »Nein, nein, Sir. Sie verstehen mich nicht. Die Firma ist tatsächlich pleite! IRL – im richtigen Leben. Und es kommt noch schlimmer: Offenbar bringt der Hack die ganze Immobilienbranche ins Schlingern. Für die von dem Unternehmen finanzierten Gebäude wurden höchst spekulative Hypothekenanleihen ausgegeben, in die zahlreiche andere Banken eingestiegen sind und dadurch jetzt ebenfalls ins Wanken geraten.«
    Kogan blieb abrupt stehen. »Sind Sie sicher, nicht nur die Simulationsdaten gesehen zu haben?«
    Karim schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich wünschte, es wäre so, Sir. Sie können die Websites der Wall Street oder anderer großer Finanzplätze aufrufen – überall das gleiche Bild.«
    »Kleine Ursache, große Wirkung«, murmelte Kogan.
    »Und ich bin an allem schuld«, jammerte Karim.
    »Ganz bestimmt nicht«, widersprach ihm der Projektleiter.
    »Sie kennen doch die Zahlenbasis, die wir zusammen erarbeitet haben. In Kalifornien kostet ein kleines Apartment mittlerweile sechshunderttausend Dollar. Bei solch enormen Sicherheiten haben die Banken ihren Kunden das Geld förmlich hinterhergeworfen, und das landauf, landab. In den Staaten gibt es gut und gerne zweiundsiebzig Millionen Haus-und Grundstücksbesitzer, ein Großteil davon beleiht seine Immobilie, um sich ein neues Auto zu kaufen, in den Urlaub zu fahren oder sich sonst wie dem Konsumrausch hinzugeben.
    Die Immobilienblase ist gigantisch.«
    »Ja, und ich habe mit der Nadel hineingestochen.«
    »Sind Sie sich sicher, das Codewort ›Gambit‹ eingegeben zu

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