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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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haben?«
    Karim zögerte. »Eigentlich ja.«
    »Also nicht.«
    Der Hacker ließ den Kopf hängen.
    »Haben Sie schon mit jemandem darüber gesprochen?«
    »Ja, mit Justin. Er meint, wo gehobelt wird, fallen Späne. Sie kennen ihn ja.«
    Kogan legte dem »armen Sünder« die Hand auf die Schulter.
    »Sie sind sensibler als Justin, aber gerade weil die Gruppe so unterschiedliche Charaktere in sich vereint, ist sie so stark. Ich denke nicht, dass Sie die momentane Immobilienkrise ausgelöst haben. Allerdings gibt es auch noch die Rohöl- und die Metallblase und einige andere höchst spekulative Bereiche, die kurz vor dem Kollaps stehen. Ich fürchte, der Cyberwar könnte bereits begonnen haben, und die Welt gewahrt es nicht.«
    »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Sir.«
    »Es ist mir bitterernst, Karim. Jetzt wird sich zeigen, ob wir gut aufgestellt sind und den Angriff abwehren können. Was Ihre Bank im Mittelwesten betrifft, machen Sie sich keine Sorgen. Darum kümmere ich mich. Wichtig ist, dass unser Projekt mit Hochdruck vorangetrieben wird.«
    »Ich will nicht ins Gefängnis, Meister. Eher gestehe ich alles.« Karim klang gequält, als litte er körperliche Schmerzen.
    »Nein!«, brach es heftig aus dem alten Mann hervor.

    »Denken Sie daran, für wen Sie arbeiten. Für die NSA. Das bedeutet never say anything. Ich schütze Sie. Sie haben nichts zu befürchten.« Karim nickte mit hängendem Kopf.
    »Kann ich mich weiter auf Sie verlassen?«
    Er zögerte. »Ja.«
    »Gibt es noch etwas, das Ihnen auf dem Herzen liegt?«
    Wieder druckste Karim herum, ehe er antwortete. »Ich habe die Techniken, die Sie uns beigebracht haben, einmal bei der NSA selbst angewendet.« Er zuckte die Achseln. »Hat mich interessiert, wie gut der Laden abgeschlossen ist.«
    Kogan horchte auf. Seine blinden Augen schienen den Hacker hinter der dunklen Brille zu fixieren. »Und?«
    »Ich bin nicht weit gekommen«, sagte Karim schnell und wich dem unheimlichen Blick aus.

    JJ verließ die Fabrik gegen acht Uhr abends. Sie war völlig erschöpft. Und besorgt. Am Nachmittag war Karim zu ihr gekommen und hatte gemeint, er müsse sie dringend sprechen.
    Ob es mit den Turbulenzen auf dem Hypotheken- und Immobilienmarkt zu tun hatte? Seltsam war nur, dass er sich für die Unterredung ein mexikanisches Restaurant in der Nähe des Harvard Square in Cambridge ausgesucht hatte. Glaubte er etwa, die NSA habe seine Wohnung verwanzt?
    Karims Eltern waren vermögend. Ihr Im- und Exportgeschäft hatte ihnen Reichtum beschert. Das war auch der Grund, warum ihr Sohn sich ein eigenes Apartment am Ellery Place leisten konnte, anstatt wie andere in eine enge Studentenbude des MIT eingepfercht zu sein. Als er JJ gefragt hatte, ob sie für die Dauer des Projekts bei ihm einziehen wolle, reagierte sie zunächst skeptisch. Emil Kogan war ein Mann mit Prinzipien, und zu denen gehörte auch, Privates und Geschäftliches nicht miteinander zu verquicken. Andererseits hatte es ihn nicht gestört, ihre informellen Kontakte zur Hackerszene am MIT auszunutzen. Wenn das Apartment nicht tatsächlich verwanzt war, dann dachte er immer noch, dass sie bei ihrer Cousine in East Boston wohnte.
    Als sich JJ, von der Harvard Street kommend, dem fünfstöckigen Wohnhaus näherte, bemerkte sie zwei Männer, die das Gebäude verließen, mit schnellen Schritten in nördlicher Richtung liefen und hinten in einen dunklen Ford einstiegen. Die Türen waren noch nicht geschlossen, da brauste das Fahrzeug auch schon davon. Diese Beobachtung war an sich nicht ungewöhnlich, doch JJ hatte im Laufe ihrer Ausbildung ein Gespür für Auffälligkeiten bekommen, die gewöhnlichen Leuten entgingen.
    Zwei Minuten später schloss sie die Tür von Karims Zwei-Zimmer-Apartment auf und rief seinen Namen.
    Keine Antwort kam. Doch aus dem Bad hörte sie Wasser rauschen. Vermutlich stand er unter der Dusche, oder eher noch entspannte er sich in der Wanne. Der Ärmste hatte in letzter Zeit ziemlich neben sich gestanden. Der Stress in der Fabrik und in der Uni war ziemlich heftig.
    Sie warf die Schlüssel in eine Keramikschale auf der Kommode neben der Tür. »Karim?« Diesmal rief sie schon lauter.
    Wieder kam keine Antwort.
    Das Apartment war normalerweise wie geleckt – Karim gehörte zum Typus »Ordnungsfanatiker« –, deshalb wunderte sich JJ über seinen Rucksack, der neben dem Schreibtisch am Boden lag. Der Inhalt war über das Parkett verschüttet. Sie lief zu dem Tisch, auf dem ein

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