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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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nur, was er schon mehrmals beteuert hatte. »Bitte! Ich kenne das erste Blatt nicht.«
    Die rote Höllenflamme erlosch…
    … und wurde erneut entfacht.
    Das sichere Ende vor Augen, brach sich Tims Überlebenswille jäh eine Schneise durch das Dickicht aus Furcht und Schmerzen. Sein Körper schüttete alles Adrenalin aus, das er noch aufbieten konnte, und mobilisierte letzte Kraftreserven. Zum Erstaunen seiner Peiniger bäumte sich Tim, während sein Kopf und die Schultern bereits jenseits der Balustrade hingen, unvermittelt auf. Als sein Oberkörper über der Brüstung auftauchte, bekam er nicht nur die vermummten Gesichter der Scharfrichter zu sehen, sondern noch etwas anderes, etwas überaus Verblüffendes.
    Auf dem Dach befand sich eine vierte Person. Weil die rote Höllenfackel wieder einmal ausgegangen war, konnte Tim nur einen schlanken Schemen erkennen, der lautlos und offenbar nicht in freundlicher Absicht von der Tür des Niedergangs auf Mr Pain zuhuschte. Und dann überschlugen sich die Ereignisse.
    Das rote Licht loderte erneut auf.
    Der unerwartet auf dem Plan erschienene Engel trug Jeans und Pullover sowie zur Vermummung einen langen Schal. Tim erkannte ihn trotzdem problemlos wieder – und er traute seinen Augen nicht.
    Jamila Jason setzte zum Sprung an.
    Auch Mr Pain hatte die Angreiferin bemerkt, schrie vor Zorn auf und versuchte abzutauchen. Doch seine Reaktion erfolgte zu spät. Jamilas rechter Fuß landete in seinem Gesicht, womit sie ihm offenkundig neue Einsichten über die Bedeutung seines Künstlernamens vermittelte. Mit einem gurgelnden Laut sackte er zusammen.
    Spätestens seit dem Warnruf des Anführers hatte der Racheengel mit dem roten Schal drei Zaungäste. Der Delinquent wurde einfach losgelassen, weil die beiden Schergen ihrem Kommandanten spontan oberste Priorität einräumten. Tim fiel aufs Dach zurück, und seine Peiniger liefen auf Jamila zu. Diese ergriff nicht etwa vor der Übermacht die Flucht, sondern eilte den zwei sogar noch entgegen.
    Das rote Licht ging an.
    Die beiden Höllenhunde hatten sich getrennt, um der Amazone weniger Angriffsfläche zu bieten. Das war ein taktischer Fehler, denn so konnte sie sich ihre Gegner einzeln vornehmen. Von Tim aus gesehen links, stellte sich ihr der erste. Seine Waffe waren die Fäuste. Jamila wich ein paar Schlägen aus, indem sie den Oberkörper elegant nach hinten oder zur Seite bog, andere Hiebe musste sie mit ihren Unterarmen parieren. Sie selbst konnte zwar mehrere Treffer landen, doch keiner war hart genug, um den Gegner auf die Bretter zu schicken. Dessen nächste Attacke, ein Würgegriff, fing sie mit ihrem Schal ab, der sich blitzschnell um die Handgelenke des Kontrahenten wickelte. Bevor dieser die Fessel wieder loswerden konnte, war Jamila auch schon in die Knie gegangen und säbelte ihm mit einem Fußschwung die Beine weg, sodass er rücklings zu Boden ging. Als er dort ankam, hieb sie ihm auch schon – für Tim zu flink, um die Ausführung des Schlages genau zu erkennen – gegen die Kehle.
    Das rote Licht ging aus.
    Tim blinzelte verwirrt. Träumte er? War das tatsächlich die nicht übermäßig große, schlanke, wunderschöne Jamila, die da im rot blinkenden Takt einer Flugsicherungsleuchte den bärenstarken Schurken mit Faust-, Handkanten- und Fußtritten zusetzte? Sie war förmlich über das Dach getanzt, in einer verwirrenden Bewegungsfolge, die aus irgendeinem Hongkong-Martial-Arts-Film hätte stammen können.
    Die Fortsetzung des Kampfes blieb Tim nur als Hörspiel in Erinnerung, weil er in der Dunkelheit so gut wie nichts sah. Im Wesentlichen beschränkte sich die Ausschaltung von Gegner Nummer drei auf einige puffende Körperkontakte, einen erstickten Laut und einen Plumps. Untermalt wurde das Ganze vom Röcheln des anderen Schergen, der offenbar erheblich größere Atemprobleme hatte als zuvor Tim.
    Das rote Licht ging wieder an.
    Nur wenige Sekunden waren seit Jamilas Auftauchen verstrichen.
    Sie lief zu Tim hinüber. »Das war knapp. Wie geht es dir?«
    Weder nervlich noch körperlich fühlte er sich in der Lage, ihr darauf eine hinreichend befriedigende Antwort zu geben.
    Trotzdem öffnete er den Mund, nur um im nächsten Augenblick festzustellen, dass hinter ihr Mr Pain auftauchte.
    Wie die groteske Karikatur eines aufgeblähten Kindes, das Fangen spielen wollte, kam er mit ausgestreckten Händen auf sie zugelaufen.
    »Pass auf, hinter dir!«, schrie Tim.
    Das rote Licht ging aus.
    Jamilas Schemen glitt

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