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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Strandgut angesammelt, das er dringend ordnen musste, bevor er sich Jamila und ihren Geheimdienstkollegen auslieferte. Einige dieser Fundstücke hatten gefunkelt wie Glas, das in der Sonne an den Strand geschwemmt wurde.
    Dazu gehörte die »magische« Zahl 232, die in dem Fernsehbericht vorgekommen war. Ihm waren darin dieselben Ziffernkombinationen aufgefallen, die ihn schon auf John Miltons Streitschrift De Doctrina Christiana aufmerksam gemacht hatten – die »23« und die »32«. Im Internet fand er dazu jedoch kaum mehr, als die Moderatorin aus den Morgennachrichten gesagt hatte. Fürs Erste ließ er dieses Stück Treibgut links liegen, doch schon als er sich dem nächsten zuwandte, der Historikerin Dr. Jamila Jason, fügten sich beide zusammen wie benachbarte Puzzlesteine.
    In rasendem Tempo »inhalierte« er Dutzende von Veröffentlichungen über oder von Jamila und ging dabei unzähligen Querverbindungen nach, sog seltsame Anekdoten und Geschichten von mysteriösen Bränden in sich auf. Fast wie von selbst setzten sich dabei in seinem Geist Erinnerungsknoten zu Netzen möglicher Wirklichkeiten zusammen. Auf dem Dach des Bibliotheksturms hatte sie zu ihm gesagt, während ihres Studiums in Yale hätten sich die angesehensten Studentenverbindungen darum gerissen, ihr auf die Schulter zu klopfen. Die bedeutendste und einflussreichste Vereinigung dieser Art war die 1832 gegründete Geheimgesellschaft »Skull and Bones«.
    Als Tim dies las, sprühte sein Geist weitere Funken. Der Name des Gründers stand im Blatt III des Beale-Vermächtnisses. Jamila hatte ihn als einen »Spross aus dem Opium-Imperium Russel and Company« beschrieben.
    Der Orden machte auch als »Eulogischer Club« von sich reden, benannt nach Eulogia, angeblich die Göttin der Beredsamkeit. Andere Quellen nannten ihn The Brotherhood of Death – »Die Bruderschaft des Todes«. Ein weiterer Name verwandelte Tims Bewusstsein endgültig in eine mentale Lichterkette: »Loge 322«.
    Drei und zwei. Konnte es noch ein Zufall sein, dass er immer wieder über Kombinationen dieser Ziffern stolperte? Sie versteckten sich nicht nur im Gründungsjahr des Ordens, sondern prangten unübersehbar sogar in seinem Erkennungszeichen – es bestand aus einem Totenkopf auf gekreuzten Knochen über der Zahl »322«.
    Nicht ohne einen gewissen Sinn für Dramatik nannten sich die Mitglieder der Bruderschaft des Todes »Bonesmen«; erst seit 1991 wurden auch »Boneswomen« in den höchst elitären Zirkel aufgenommen. Tim kam aus dem Staunen kaum mehr heraus, als er im Internet die Namen der Mitglieder las. Zu dem illustren Kreis gehörten neben bekannten Sportlern, Künstlern, Wissenschaftlern, Universitätspräsidenten und Wirtschaftsmagnaten auch immer wieder Politiker in höchsten Positionen, bis in jüngste Zeit sogar Präsidenten.
    Um die Wurzeln der Vereinigung rankten sich zahlreiche Legenden, einige reichten bis zu einer namentlich nicht genannten Geheimgesellschaft in Deutschland zurück.
    Konkrete Fakten gab es dazu aber wenige. Im Gegensatz zu anderen Bruderschaften betrieb der Orden keine Geschichtspflege. Als wolle er seine Ursprünge verbergen.
    Das tapping jedenfalls – das Klopfen auf die Schulter – war ein Auswahlritual vieler studentischer Vereinigungen. Die Loge 322 berief mit diesem Brauch gewöhnlich nur die Besten der Besten des vorletzten Studienjahrgangs für ein knappes Jahr in den Kreis der jeweils fünfzehn Mitglieder von Skull and Bones. Danach blieben sie ein Leben lang unter dem Dach ihrer Ehemaligenvereinigung RTA, der Russel Trust Association, verbunden.
    Merkwürdigerweise wusste keine der von Tim befragten Quellen etwas über ein gemeinsames Ziel der Bruderschaft, abgesehen von dem Bemühen, sich gegenseitig die Karriereleiter hinaufzuhelfen. Nirgendwo war die Rede von der »großen Aufgabe«. Gibt es so eine Bestimmung nicht?, fragte er sich. Ist sie nur in den Wirren der Geschichte verloren gegangen? Oder stellt die Mission des Ordens sein letztes großes Geheimnis dar, das weder Verschwörungstheoretiker noch Enthüllungsjournalisten bisher herausgefunden hatten?
    Und noch etwas beschäftigte ihn, während er das Treibgut seines Geistes ordnete: War Jamila, die ihr Studium immerhin mit summa cum laude abgeschlossen hatte, eine
    »Knochenfrau«?
    Die Frage drängte sich ihm förmlich auf. Sie hatte nicht nur spontan über den Gründer der Loge 322 Auskunft gegeben, sondern noch etwas viel Verräterischeres gesagt: Für meinen Mentor

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