Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
einflussreichsten Kräfte des Landes gebündelt. Wenn jemand seit bald zweihundert Jahren die Geschicke der Vereinigten Staaten lenkt, dann doch wohl ihre Patriarchen. Und ich war immerhin eine der ersten Frauen, die vom Orden ausgewählt wurde.
    Sollte mir das nicht eine Stimme verleihen?«
    »Kleine Morgiane«, sagte Kogan im Ton eines weisen Alten, der einen übereifrigen Schüler ermahnt, »ich kenne diesen snobistischen Klub besser als du, das kannst du mir glauben.
    Obwohl ich den adelnden Schulterschlag der Bruderschaft nie bekommen habe, sind einige seiner Mitglieder mir, dem Außenstehenden, doch wohl mehr verbunden als ihresgleichen.
    Was denkst du, warum du getappt worden bist?«
    Jamila riss die Augen auf. »Sie hatten Ihre Finger im Spiel?«
    Ein kleines Lächeln umkräuselte seine Lippen. »Sagen wir, ich habe ein wenig Überzeugungsarbeit geleistet. Du warst zwar die Beste deines Jahrgangs, aber du bist auch eine Farbige und noch dazu eine ehemalige Muslimin.«
    »Aber…«
    »Ich weiß, ich weiß«, winkte er ab. »Ihr nehmt inzwischen auch Frauen auf und Schwarze, aber sehr groß ist die Bereitschaft dazu nach wie vor nicht. Dazu gibt es noch zu viele von den alten Patriarchen in euren Reihen, die sich eigentlich nicht von den diskriminierenden und rassistischen Auswahlkriterien der früheren Tage verabschieden wollen und sie am liebsten wieder einführen würden. Ehrlich gesagt, stößt mich das elitäre Gehabe dieser Eulogia-Jünger sogar ab.
    ›Nichts ist schädlicher einer guten Einsicht in die Kultur, als den Genius und sonst nichts gelten zu lassen. Das ist eine subversive Denkart, bei der alles Arbeiten für die Kultur aufhören muss.‹«
    »Friedrich Nietzsche?«
    Er nickte. »Ich bin der Überzeugung, dass Schach mehr den Charakter formt als die Mitgliedschaft in einem Orden, der dem Totenkult huldigt.«

    »Und warum haben Sie mir dann die Türen zur Gruft geöffnet?«
    »Weil sich ein guter Spieler immer so viele Optionen wie möglich offenhält. Doch genug davon. Kommen wir auf unser Wunderkind und deine Frage zurück: Wenn Labin tatsächlich den Beweis findet, dass die Unabhängigkeitserklärung ein Schwindel ist, dann darf das niemals an die Öffentlichkeit gelangen. Wir werden das Problem auf unsere Weise lösen, wie wir das immer getan haben. Deshalb unternimmst du keine Alleingänge, ist das klar?«
    »Ja«, knirschte sie.
    »Und der Deutsche muss auch schweigen.«
    »Im Gegensatz zu mir untersteht er nicht Ihrem Befehl, Emil.«
    »Dessen bin ich mir bewusst, und ich habe die Risiken abgewogen.«
    Jamila sah ihren Chef fragend an.
    »Wenn diese Sache abgeschlossen ist, musst du ihn liquidieren«, präzisierte er.
    Sie hatte das Gefühl, jäh in Eiswasser getaucht worden zu sein. »Was? Er hat uns geholfen, Emil, und…«
    »Deshalb musst du ihn ja zum Schweigen bringen. Aber sei vorsichtig! Er ist schlauer als wir alle zusammen. Wie es scheint, hat er sich in dich verknallt. Setze seine Schwächen gegen ihn ein. Du weißt ja…«
    ›»Wenn du deinen Gegner nicht besiegen kannst, dann lass ihn sich selbst besiegen‹«, wiederholte Jamila tonlos das Credo ihres Mentors. Sie hatte mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht mit diesem Befehl.
    Kogan musterte sie lange. »Du bist für solche Situationen ausgebildet worden, Jamila. Hast du ein Problem damit?
    Verstehen könnte ich es. Erst Karims tragischer Tod und dann auch noch das Unglück mit deinem Bruder – das alles muss dich ziemlich mitgenommen haben. Ich kann jemand anderen beauftragen…«
    »Nein«, fiel sie ihm ins Wort, jeder Zweifel war aus ihrer Stimme gewichen. »Sie haben mir die Ausführung der Operation Gambit übertragen, Emil, und ich führe sie auch zu Ende.«

    In dem Hotelzimmer war es dunkel. Nur das Display von Jamilas Notebook strahlte und warf ein ungesundes Glühen auf ihr Gesicht. Sie wusste, wie kindisch ihr Verhalten war. Jeder Computer emittierte elektromagnetische Strahlung, und wenn die Schnüffler der NSA jemanden ins Visier genommen hatten, dann konnten sie diese auch abhören. Sie hoffte, die scharfsichtigen Augen der Eule waren auf die Ferne gerichtet und sahen nicht, was in ihrer nächsten Nähe geschah.
    Jamila war einigermaßen durcheinander. Mit dem Befehl, Tim zu töten, hatte Emil sie kalt erwischt. Irgendwie bewunderte sie ihren Mentor immer noch. Sie wäre für ihn durch die Hölle gegangen.
    Bis zu jener Nacht, als sie Karims Leiche in der Badewanne gefunden hatte.
    Danach war alles

Weitere Kostenlose Bücher