Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
Vom Netzwerk:
Stanton? A-aber … Sie können nicht bei klarem Verstand sein, Major.«
    Crittenden legte den Kopf schräg und sprach sehr sanft. »Sehen Sie, Mr Sawyer, mein Glaube ermahnt mich, ruhig und besonnen zu sein und zu verzeihen. Matthäus, Kapitel fünf, Vers 38 : ›Ich aber sage euch: Widersteht nicht dem Bösen, sondern jedem, der dich auf die rechte Wange schlägt, halte auch die andere hin.‹ Doch auch meine Geduld hat Grenzen, und mein Glaube ist gelegentlich nicht so fest, wie er sein sollte. Sie haben mich einen aufgeblasenen Fettsack genannt, und jetzt unterstellen Sie mir, ich wäre nicht bei Verstand. Wenn Sie mich noch einmal beleidigen, werde ich die beiden Lieutenants anweisen, Sie in Ketten hier hinauszuschleifen und dieser da …«, er nickte zu Toms Beule an der Stirn, »… noch eine Reihe weiterer hinzuzufügen. War das deutlich genug, Mr Sawyer?«
    Tom nickte, und kleinlaut fügte er hinzu: »Ja, Major. Sehr deutlich. Verzeihen Sie bitte. Doch Sie müssen sich irren. Warum sollte der Kriegsminister hinter der Ermordung Lincolns stehen? Welchen Sinn hätte das?«
    Crittenden schob die Unterlippe vor. »Oh, den Sinn, den es immer hat: Macht. Macht und Eitelkeit. Stanton hat den Präsidenten verachtet. Er hat ihn einmal einen ›waschechten Gorilla‹ genannt, er hat den Präsidenten immer abgelehnt wegen dessen niedriger Herkunft und Lincolns Anweisungen oft nicht befolgt oder falsch weitergegeben. Wir nehmen an, dass Stanton dachte, er wäre ein besserer Präsident als Lincoln, und auf jeden Fall hält er sich für einen geeigneteren Präsidenten als Andrew Johnson. Und wenn alles so gelaufen wäre, wie Stanton es geplant hatte, dann wäre er heute tatsächlich Präsident.«
    »Wenn alles so gelaufen wäre? Wie meinen Sie das?«
    Crittenden hob die rechte Hand und zählte mit den Fingern auf. »Booth hat den Präsidenten getötet. David Harold, einer der Mitverschwörer, sollte ein Attentat auf den damaligen Vizepräsidenten Andrew Johnson verüben, aber er war zu feige und ist stattdessen geflüchtet. Lewis Powell sollte den damals bereits erkrankten Außenminister Seward umbringen, aber er ist gescheitert und Seward hat schwer verletzt überlebt. Stanton hat noch in der Nacht von Lincolns Tod das Kriegsrecht verhängt und die Regierungsgeschäfte übernommen. Die er allerdings wieder abgeben musste, als Vizepräsident Johnson vereidigt wurde. Im zwanzigsten Verfassungszusatz, Abschnitt drei, heißt es, der Kongress soll die Nachfolge des Präsidenten bestimmen, falls weder der Präsident noch der Vizepräsident ihr Amt ausüben können. Was glauben Sie wohl, Mr Sawyer, wen der Kongress zum nächsten Präsidenten bestimmt hätte, falls neben Präsident Lincoln auch noch der Vizepräsident und der Außenminister ermordet worden wären? Das Land hatte gerade einen mörderischen Bürgerkrieg hinter sich und war an allen Flanken angreifbar. Für wen hätte man sich wohl entschieden?«
    Tom nickte und sagte leise: »Für den Kriegsminister. Für Stanton.« Doch dann schüttelte er ungehalten den Kopf. »Trotzdem. Ich meine, was beweist das schon? Deswegen muss ja nicht Stanton hinter der Ermordung stecken! Das reicht doch nicht aus für einen Verdacht.«
    »Das stimmt, Mr Sawyer. Aber ich will Ihnen einmal ein paar Dinge zu bedenken geben, die uns Kopfzerbrechen gemacht haben und von denen Sie vielleicht bisher keine Kenntnis hatten. Kehren wir zunächst zu jenem tragischen Karfreitag zurück, an dem der Präsident starb, und reden über ein Treffen, bei dem Sie selbst anwesend waren, soweit ich weiß. Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass der Präsident an jenem Karfreitag Minister Stanton eingeladen hat, ihn ins Ford’s Theatre zu begleiten.«
    »Daran erinnere ich mich in der Tat, Major. Ich war dabei, als der Präsident die Einladung ausgesprochen hat, und ich erinnere mich auch noch, dass ich Stantons Absage etwas brüsk fand.«
    Crittenden zog die Augenbrauen hoch und nickte.
    »Brüsk. Ja, in der Tat. Lincolns Sekretär, der ebenfalls zugegen war, sagte aus, Stanton habe den Präsidenten regelrecht angeschnauzt und bemerkt, er habe Wichtigeres zu tun. Lincoln hat ihn daraufhin wohl gebeten, ihm Major Thomas Eckart, der für Stanton gearbeitet hat, als Begleiter ins Theater mitzugeben. Können Sie das bestätigen?«
    »Das ist korrekt, Sir.«
    »Kennen Sie Major Eckart, Mr Sawyer?«
    »Ja, Sir. Er ist der Leiter des Telegrafenamtes, wo Stanton mehr oder weniger sein Hauptquartier

Weitere Kostenlose Bücher