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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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ruhte wieder auf seinem Oberschenkel. Doch Tom glaubte, die Mundwinkel des Alten hätten sich fast unmerklich nach oben bewegt, so als würde er grinsen. Ja, ganz sicher grinste der Alte.
    Tom seufzte. Der Greis lachte ihn aus. Die kleinen Kinder, die sich durch das Lager gejagt hatten, waren nun stehen geblieben und beäugten den merkwürdigen Fremden am Feuer. Sie standen drei Schritt von Tom entfernt und starrten ihn an. Tom lächelte ihnen müde zu, doch die Kinder blickten ihn ausdruckslos an, mit versteinerter Miene.
    Tom blies die Backen auf und begann zu schielen, doch die Kinder lachten nicht. Als er begann, mit den Ohren zu wackeln, kreischten sie erschrocken auf, liefen davon und verschwanden hinter den Hütten im Wald.
    Tom fühlte sich plötzlich matt und verloren, als wäre er aus der Zeit gefallen und in einem anderen Leben gelandet, in einer Welt, in der man ihn nicht sah und nicht hörte, geschweige denn brauchte. Er seufzte wieder und wandte sich zu dem Alten. »Hey, das ist richtig toll hier bei euch, alter Mann. Sieht so aus, als hättet ihr nur auf mich gewartet, hm?«
    Der Alte antwortete nicht. Er griff noch einmal in die Schale mit dem Kürbis, trank einen Schluck Wasser aus einer alten Whiskeyflasche, wischte sich mit dem Ärmel über den Mund, schlug sich mit der Faust gegen die Brust und rülpste. Dann wandte er sich zu Tom und redete in einer Sprache, die Tom nicht verstand.
    Tom hob die Hände mit den Handflächen nach oben. »Tut mir leid, Kumpel, aber ich hab keine Ahnung, was du von mir willst. Gibt’s hier vielleicht irgendjemanden, der meine Sprache spricht? Jemanden, der vielleicht etwas jünger ist als du?«
    Der Alte redete weiter, lauter und heftiger jetzt, doch Tom lächelte nur hilflos und zuckte mit den Schultern. Dann deutete der Alte auf das Kaninchen und auf Tom und machte die gleiche Geste, die Tom vorher für »Essen« gebraucht hatte. Toms Augen wurden größer. »Ich darf? Wirklich? Du gibst mir was ab?«
    Der Alte nickte, und Tom zupfte eine ordentliche Handvoll Fleisch von dem Braten ab und steckte es in den Mund. Es war himmlisch. Heiß, fettig, nahrhaft. Göttlich.
    Der Alte schob ihm die hölzernen Schüsseln hin, und Tom griff zu. Das Fett lief ihm von den Mundwinkeln zum Kinn, und es war ihm egal, wer schon alles in diese Schüsseln gegriffen hatte. Der Mais und der Kürbis schmeckten herrlich, und Tom schob große Bissen Fleisch hinterher, bis sein erster Hunger gestillt war.
    Der Alte reichte ihm die Wasserflasche, und Tom nahm einen kräftigen Schluck, stellte dann fest, dass es ein klarer Schnaps war, und die Augen tränten ihm von dem Fusel, aber er behielt ihn bei sich, und ein warmes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. Dankbar nickte er dem Alten zu und deutete auf den Braten. »Gut! Sehr gut, das Kaninchen ist sehr gut!«
    Der Alte nickte, deutete ebenfalls auf das Kaninchen und machte dann: »Wuff!«
    Tom zog die Augenbrauen zusammen. »Wuff?«
    Der Alte nickte fröhlich. »Wuff, wuff!«, ahmte er gekonnt das Bellen eines Hundes nach. Tom starrte ihn entsetzt an, blickte dann zu dem Braten und wieder zu dem Alten, und es würgte ihn, und der alte Mann lachte und schlug sich mit der flachen Hand auf den Schenkel.
    Tom spürte, wie sein Mageninhalt die Speiseröhre hochwanderte, und er hielt sich die Hand vor den Mund, wollte schon aufspringen, als er eine Hand auf der Schulter spürte und eine tiefe Stimme hinter ihm sagte: »Beruhig dich. Er macht Spaß. Macht Spaß mit dir.«
    Tom blickte auf und sah einen Mann in Wildlederkleidung. Er war sehr groß, hatte scharf geschnittene Züge, die Augen lagen tief in den Höhlen, und langes schwarzes Haare bedeckte seine Schultern. Er schien etwas älter zu sein als Tom. Hinter ihm kamen ein weiterer Indianer, jünger und mit nacktem Oberkörper, sowie der Junge, der Tom von den Gleisen geschnitten hatte. Die zahnlose hässliche Alte, die Tom in der Hütte angeschrien hatte, humpelte ebenfalls aus dem Gebüsch. Der jüngere Mann und der Junge trugen erlegte Kaninchen und Waschbären über den Schultern.
    »Du hast lange geschlafen. Das gut für dich.«
    Der Mann setzte sich neben Tom ans Feuer und lud seine Begleiter ein, es ihm gleichzutun. Toms Blick fiel auf den Deane & Adams-Double-Action-Revolver mit fünf Schuss, den der Indianer an der Seite im Gürtel stecken hatte. An der Wildlederjacke hing ein Abzeichen, das ihn als ehemaligen Scout der Union kennzeichnete.
    Tom erkannte den Mann wieder. Es war

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