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Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Titel: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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ich mit ihm nicht über sein Gedächtnis oder über seine Vergangenheit, sondern fragte ihn nach dem einfachsten, elementarsten Gefühl, das man haben kann:
    «Wie fühlen Sie sich?»
    «Wie ich mich fühle?» wiederholte er und kratzte sich am Kopf. «Ich kann nicht sagen, daß ich mich krank fühle, aber gut fühle ich mich auch nicht. Eigentlich fühle ich überhaupt nichts. »
    «Geht es Ihnen schlecht?» fragte ich weiter. «Kann ich nicht behaupten. »
    «Macht Ihnen das Leben Spaß?» «Das kann ich nicht behaupten... »
    Ich hielt inne, denn ich fürchtete, zu weit zu gehen und eine verborgene, unerträgliche Verzweiflung bloßzulegen, der er sich nicht stellen konnte.
    «Das Leben macht Ihnen keinen Spaß», wiederholte ich und zögerte etwas. «Wie fühlt sich das Leben denn für Sie an?» «Ich kann nicht sagen, daß ich irgend etwas fühle. »
    «Aber Sie fühlen sich doch lebendig?»
    «Lebendig? Eigentlich nicht. Ich habe mich schon sehr lange nicht mehr lebendig gefühlt. »
    Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck unendlicher Traurigkeit und Resignation.
    Mir war aufgefallen, wieviel Geschick er bei Spielen und Puzzles an den Tag legte und wieviel Spaß sie ihm machten. Sie faszinierten ihn, jedenfalls solange er sich mit ihnen beschäftigte, und gaben ihm ein Gefühl von Gemeinschaft und Wettstreit - er hatte zwar nie über Einsamkeit geklagt, aber er wirkte einsam; er hatte nie Traurigkeit gezeigt, aber er wirkte traurig. So schlug ich vor, man solle ihn am Unterhaltungsprogramm des Heims teilnehmen lassen. Damit hatten wir mehr Erfolg als mit dem Tagebuch. Eine kurze Zeit lang stürzte er sich mit Eifer auf die Spiele, aber bald stellten sie für ihn keine Herausforderung mehr dar: Er setzte alle Puzzles mit Leichtigkeit zusammen, und bei den Spielen war er weit besser und schneller als alle anderen. Als er das merkte, wurde er wieder mürrisch und unzufrieden und ging ruhelos und gelangweilt auf den Korridoren auf und ab. Er war in seiner Würde verletzt - Spiele und Puzzles waren etwas für Kinder, eine Ablenkung. Es war deutlich, daß es ihn sehr danach verlangte, etwas zu tun zu haben: Er wollte tun, sein, fühlen, aber das alles konnte er nicht; er sehnte sich nach einem Sinn, nach «Arbeit und Liebe».
    Konnte er eine «normale» Arbeit ausführen? Er war, wie sein Bruder sägte, «zerbrochen», als er 1965 aufgehört hatte zu arbeiten, und er besaß zwei überragende Fähigkeiten: Er beherrschte die Morsezeichen, und er konnte fließend Blindschreiben. Für einen Funker hatten wir keine Verwendung, es sei denn, wir erfanden eine; aber einen guten Maschineschrei ber konnten wir gebrauchen - vorausgesetzt, daß er seine alten Fertigkeiten wiedererlangte -, und dies würde nicht bloß ein Spiel, sondern eine echte Aufgabe sein. Jimmie schrieb bald wieder sehr schnell - er konnte nichts langsam tun -, und diese Tätigkeit vermittelte ihm etwas von der Herausforderung und der Befriedigung, die in jeder wirklichen Arbeit steckt. Das war jedoch immer noch etwas Oberflächliches, eine triviale Beschäftigung, die die Tiefen seines Wesens nicht berührte. Und da er keinen Gedanken festhalten konnte, schrieb er mechanisch die kurzen Sätze nieder, deren Reihenfolge für ihn ohne Bedeutung war.
    Unwillkürlich sprach man über ihn als einen geistig Verlorenen - eine «verlorene Seele». Hatte er durch seine Krankheit tatsächlich seine Seele eingebüßt? «Glauben Sie, daß er wirk lich eine Seele hat?» fragte ich die Schwestern einmal. Sie waren empört über meine Frage, verstanden aber, daß ich sie gestellt hatte. «Sehen Sie sich Jimmie beim Gottesdienst an», sagten sie, «und urteilen Sie selbst. »
    Das tat ich, und ich war bewegt, tief bewegt und beeindruckt, denn er zeigte eine Intensität und Ausdauer in seiner Aufmerksamkeit und Konzentration, die ich an ihm noch nie zuvor beobachtet und die ich ihm auch nicht zugetraut hatte. Ich sah ihn niederknien und das Sakrament empfangen und hatte nicht den geringsten Zweifel, daß ihn die Kommunion in den tiefsten Tiefen seines Wesens berührte, daß sein Geist in vollkommenem Einklang war mit dem Geist der Messe. Voller Hingabe nahm er in der Stille absoluter Sammlung und Aufmerksamkeit an der Heiligen Kommunion teil, und dieses Gefühl nahm ihn ganz und gar in Anspruch. Die Vergeßlichkeit, das Korsakow-Syndrom, war verschwunden, und es schien unmöglich, unvorstellbar, daß es jemals bei ihm aufgetreten war, denn er war nicht mehr dem fehlerhaften

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