Der Mann, der sich in Luft auflöste
frischen Luft tun, zum Beispiel in der Sonne am Kai. Er nahm den Zimmerschlüssel aus der Hosentasche und betrachtete ihn. Der Schlüssel sah genauso alt, gediegen und ehrfurchtgebietend aus wie das ganze Hotel. Er legte ihn auf den Empfangstresen. Der Portier streckte sofort die Hand danach aus. »Das ist ein Reserveschlüssel, oder?«
»Ich verstehe nicht...?«, erwiderte der Portier. »Ich dachte, der vorige Gast hätte den Schlüssel mitgenommen.«
»Ja, das stimmt. Wir haben den Schlüssel aber schon am nächsten Tag zurückbekommen.«
»Zurückbekommen? Von wem?«
»Von der Polizei, Sir.«
»Von der Polizei? Welcher Polizei?« Der Portier zuckte verwirrt mit den Schultern. »Von der normalen Polizei, selbstverständlich. Welcher sonst? Ein Polizist hat ihn beim Türsteher abgegeben. Mr. Matsson muss ihn irgendwo verloren haben.«
»Und wo?«
»Das weiß ich leider nicht, Sir.« Martin Beck stellte noch eine weitere Frage. »Hat außer mir noch jemand Mr. Matssons Gepäck durchgesehen?«
Der Portier zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete. »Ich glaube nicht, Sir.«
Martin Beck ging durch die Drehtür nach draußen. Der Mann mit der Schirmmütze und dem grauen Schnurrbart stand, die Hände auf dem Rücken, wie ein lebendes Emil-Jannings-Denkmal völlig reglos im Schatten unter dem Baldachin.
»Können Sie sich daran erinnern, vor vierzehn Tagen von einem Polizisten einen Zimmerschlüssel bekommen zu haben?« Der alte Mann sah ihn fragend an. »Ja, sicher.«
»Von einem Polizisten in Uniform?«
»Ja, sicher. Hier hielt ein Streifenwagen, einer der Polizisten stieg aus und lieferte den Schlüssel ab.«
»Was hat er gesagt?« Der Mann überlegte.
»Er hat gesagt: (Eine Fundsache.) Mehr nicht, glaube ich.« Martin Beck drehte sich um und ging. Nach drei Schritten fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, Trinkgeld zu geben. Er ging zurück und drückte dem Mann einige dieser ungewohnten Leichtmetallmünzen in die Hand. Der Türsteher tippte mit den Fingerspitzen seiner Rechten an den Mützenschirm und sagte:
»Danke, aber das ist nicht nötig.«
»Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch«, sagte Martin Beck. Und dachte: Verdammt viel besser als ich jedenfalls. »Das habe ich 1916 an der Isonzo-Front gelernt.« Als Martin Beck um die Ecke gebogen war, holte er seinen Stadtplan hervor und schaute hinein. Dann ging er, immer noch den Plan in der Hand, zum Kai hinunter. Ein großer weißer Raddampfer mit zwei Schornsteinen steuerte flussaufwärts. Martin Beck beobachtete ihn freudlos.
Irgendetwas an der ganzen Geschichte stimmte von Grund auf nicht. War definitiv nicht so, wie es sein sollte. Was das war, wusste er nicht.
7
Es war Sonntag und sehr warm. Leichter Sonnendunst flimmerte über den Berghängen. Der Kai war voller Menschen, die spazieren gingen oder auf den Treppen zum Fluss hinunter saßen und sich sonnten. Kleine Dampfer und Motorschaluppen pendelten den Fluss hinauf und hinunter, vollbesetzt mit sommerlich gekleideten Menschen auf dem Weg zu Badeplätzen und Ausflugszielen. An den Schiffsanlegern standen lange Warteschlangen.
Martin Beck hatte vergessen, dass Sonntag war, und wunderte sich zunächst über das Gewimmel. Er trieb im Strom der Flaneure mit und beobachtete den lebhaften Schiffsverkehr. Eigentlich hatte er den Tag mit einem Spaziergang über die nächstgelegene Brücke auf die Margareteninsel beginnen wollen, aber als er sich die Massen von Budapestern ausmalte, die dort ihren Sonntag verbrachten, überlegte er es sich anders. Das Gedränge machte ihn etwas gereizt, und der Anblick all dieser fröhlichen Menschen, die ihren freien Sonntag genossen, erfüllte ihn mit Tatendrang. Er beschloss, das Hotel aufzusuchen, in dem Matsson seine erste und vielleicht einzige Nacht in Budapest verbracht hatte. Ein Jugendhotel auf der Buda Seite, hatte der Mann von der Botschaft gesagt. Martin Beck scherte aus dem Menschenstrom aus und ging hinauf zur Straße oberhalb des Kais. Er stellte sich in den Schatten eines Hausgiebels und studierte den Stadtplan. Er suchte lange, konnte aber kein Hotel namens Ifjüsäg finden, und schließlich faltete er den Plan zusammen und ging zu der Brücke, die auf die Insel und weiter nach Buda führte. Er hielt nach einem Polizisten Ausschau, konnte aber keinen entdecken. Vor der Brücke war ein Taxistand, und es wartete auch ein Wagen dort. Er schien frei zu sein.
Der Fahrer sprach nur Ungarisch und begriff nicht, bis Martin Beck ihm den Zettel mit dem
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