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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs
Autoren: Mikael Niemi
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Fenster. Weg von dem brennenden Inferno. Da ist die Öffnung, erschöpft ziehen sie sich nach draußen. Spüren endlich das Metall der Leiter unter den Stiefeln. Und dann das Sonnenlicht. Die Vögel.
    Jan-Peter lässt sich schwer mit dem Rücken gegen einen Baumstamm sinken. Nimmt den Helm ab und atmet angestrengt, blinzelt ins Licht wie eine Eule. Ulf streckt ihm eine Flasche Wasser hin. Sie trinken und spucken aus. Spucken wieder aus. Christina Klingestål hockt sich neben sie.
    »Er ist rausgesprungen«, sagt sie, »er ist durch die Tür abgehauen.«
    »Wer?«
    »Der Sohn. Ihr habt ihn gerettet. Er war total in Panik und ist im Wald verschwunden, sie sind hinter ihm her und suchen ihn jetzt.«
    Jan-Peter trinkt noch einen Schluck. Ihm ist übel. Die Hand riecht merkwürdig, Formalin. Das sind sicher die Brandgase.
    »Der Sohn?«, fragt er unsicher.
    »Ja, der Sohn. Geht es dir nicht gut?«
    Jan-Peter winkt abwiegelnd und schließt die Augen.
    Das war ein Rentierbock, denkt er. Und ein Sarg. Der hat verdammt noch mal in einem Sarg gelegen.
     

45
     
    Eino Svedberg traf ein, als man das Feuer bereits einigermaßen unter Kontrolle hatte. Ganz Sattajärvi schien sich vor der Absperrung versammelt zu haben, auf der Landstraße stand eine lange Reihe parkender Autos. Der größte Teil des Hauses war zerstört. Das Obergeschoss war am schlimmsten betroffen, das halbe Dach eingestürzt. Eino ging zu Ulf Kyrö, um sich einen kurzen Überblick über die Lage zu verschaffen. Brandursache noch unbekannt. Kein Personenschaden, doch, ein Oberschenkelbruch. Das Feuer war noch am Brennen. Man muss einen Brandexperten holen, dachte er. Ich muss in Luleå anrufen.
    Er wurde an die ältere Frau verwiesen, der das Haus gehörte. Er kannte sie flüchtig, Märta Kallio hieß sie und saß jetzt zusammengesunken im Hof auf einem abgenutzten Kastenstuhl, den jemand im Schuppen gefunden hatte. Eine Nachbarin stand bei ihr und flüsterte ihr etwas wortlos zu, es klang wie ein Gebet. Sie fassten einander nicht an. Keine Umarmungen wie in Krisensituationen im südlichen Schweden, dachte Eino. Nur eine Frau, der es schlecht geht. Und eine Frau, die versucht, ihr die Last tragen zu helfen.
    »Ist das Ihr Sohn, der verschwunden ist?«, fragte er auf Finnisch.
    Sie nickte stumm. Eino zog einen Notizblock heraus. Ließ kurz seinen Blick schweifen über die Dorfbewohner, die sich näher herandrängten.
    »Wir setzen uns ins Auto«, beschloss er.
    Sie bahnten sich einen Weg durch die Zuschauermenge. Die Sattajärviner wichen respektvoll zur Seite. Märte drückte sich ein Taschentuch auf die Lippen, als könnte sie damit deren Zittern beenden. Das Taschentuch war aus kariertem Stoff, die Bügelfalte immer noch zu sehen. Er öffnete ihr die Beifahrertür und lud sie mit einer Handbewegung ein, sich zu setzen.
    »Es ist nur für den Bericht«, erklärte er beruhigend auf Finnisch.
    Sie trug ihr Haar in einem Knoten, eilig mit alten Haarnadeln aus Metall befestigt. Im Vormittagslicht sah ihre Haut sehr runzlig aus, mit roten Adern, die sich an die Oberfläche gedrängt hatten und geplatzt waren. Sie sah aus wie fast siebzig, doch als sie ihr Geburtsdatum angab, konnte er ausrechnen, dass sie nur dreiundsechzig Jahre alt war.
    »Und der Junge, der verschwunden ist, das ist also Ihr Sohn.«
    Ein kurzes Nicken.
    »Wie heißt er?«
    Sie zögerte.
    »Das kommt darauf an«, sagte sie ganz leise.
    »Was meinen Sie damit?«
    »Junge«, sagte sie schnell. »Ich habe ihn immer Junge genannt.«
    »Und seine Personenkennziffer?«
    »Weiß nicht.«
    »Erinnern Sie sich nicht? In welchem Jahr ist er geboren?«
    »Erinnre ich nicht.«
    »An welchem Datum?«, fragte Eino geduldig weiter.
    »Weiß nicht.«
    »Sie wissen doch wohl, wann er Geburtstag hat?«
    Sie gab keine Antwort, es lag sicher am Schock. Eino zögerte einen Moment lang.
    »Was macht er denn … der Junge? Arbeitet er?«
    »Nein, er ist meistens … zu Hause.«
    »Arbeitslos?«
    »Nein. Oder doch, ja.«
    »Was meinen Sie. geht er nun stempeln oder nicht?«
    »Nein, er ist zu Hause.«
    Der Tonfall bekam etwas Trotziges, wie er registrierte.
    »Ich muss einen Bericht schreiben«, erklärte er entschuldigend. »Dieser ganze Papierkram, wissen Sie.«
    »Papierkram«, wiederholte sie.
    »Ist er arbeitsunfähig?«, fuhr er fort. »Vielleicht Frührentner?«
    »Nein.«
    »Und er geht also nicht stempeln? Oder ist irgendwo angestellt?«
    »Nein.«
    »Aber die Personenkennziffer des Jungen«, ließ er nicht
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