Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
einen Moment sah es so aus, als wollten sie sich die Hände schütteln.
    »Wo ist Rosmarie?«, fragte Sonny.
    »Unterwegs.«
    »Und wo?«
    »Keine Ahnung.«
    Sonny tat einen Schritt zur Schlafzimmertür. Larsas freundliches Gesicht verwischte sich, er schaute sich unruhig um, schnappte sich einen Fünfundsiebzigprozentigen am Hals. Therese sah, wie Sonny unauffällig sein Pistolenhalfter aufknöpfte.
    »Bleib stehen!«, rief Therese Larsa zu.
    »Misch dich da nicht ein!«, zischte Sonny.
    Mit einem Ruck riss er die Schlafzimmertür auf. Larsa wedelte mit der Flasche in der Luft herum. Wenn er die an der Tischkante abschlägt, ziehe ich, dachte sie.
    Im Bett lag eine Frau im Nachthemd. Dichtes braunes Haar um ein kreideweißes Gesicht. Aufgerissene Augen, wie Eier.
    »Polizei«, sagte Sonny. »Ist alles in Ordnung?«
    »Jaha …«
    »Sicher?«
    »Ja.«
    Als sie Therese entdeckte, setzte sie sich abrupt auf.
    »Raus aus meinem Haus!«, schrie sie und zeigte zur Tür.
    Der Ausbruch kam so überraschend, dass Therese zusammenzuckte. Larsa lachte laut auf. Er stellte die Flasche hin und schien wieder ganz ruhig zu sein. Rosmarie zischte etwas auf Finnisch, während Sonny durch die Küche zurückging und Therese zu sich winkte. Das Schreien der Frau begleitete sie den ganzen Weg.
    »Sie hat blaue Flecken an den Armen«, sagte Therese, als sie wieder auf dem Hof standen.
    »Mm.«
    »Ich kann so etwas nicht ab.«
    »Nein.«
    »Ich habe eine Freundin, die mit so einem Teufel gelebt hat. Es gibt nichts Widerlicheres.«
    »Hätte sie nur ein Wort gesagt, hätte ich Larsa fertig gemacht.«
    »Es gibt nichts Widerlicheres, als sein Mädchen zu schlagen.«
    »Sie hätte nur zwinkern müssen oder so.«
    »Er ist gefährlich«, sagte sie. »Du kennst ihn.«
    »Das kann man wohl sagen«, murmelte Sonny.
    »Du hast ihn doch schon mal festgenommen, oder? Sogar mehrere Male?«
    Sonny drehte sich um und schaute sie an. Lange.
    »Larsa ist mein Bruder.«
     

8
     
    Zurück in Pajala fuhren sie weiter zum Skolvägen und einer dreistöckigen Häuserreihe im Stil der neuen Sachlichkeit aus den Sechzigern. Zielstrebig steuerte Sonny die richtige Wohnungstür an und klingelte.
    »Einer der Stadt-Alkis«, erklärte er. »Ein Typ, den wir Korva nennen. Bei ihm findet man alles Mögliche.«
    Die Tür war nicht verschlossen, und als sie öffneten, schlug ihnen ein dumpfes Zischen entgegen. Sie fanden Korva in jämmerlichem Zustand, wie ein alter Hund auf dem Küchenfußboden zusammengekrümmt, mit stoßweisem, rasselndem Atem. Die Hose starrte vor eingetrocknetem Dreck. Sonny überprüfte, ob die Atemwege frei waren, und zog eine verschleimte Zahnprothese aus dem schlaffen Mund, wobei ihm von dem Atem des Alten fast übel wurde.
    »Igitt, verdammte Scheiße … Manchmal hat man den Eindruck, sie wollten sich selbst umbringen  …«
    Die Wohnung sah aus und stank wie ein Schweinestall, mit monatealten Ablagerungen von altem Säuferdreck bedeckt. Ein Schlafsofa und ein Regal waren kaputt, auch andere Zeichen deuteten auf eine Prügelei hin. Das Waschbecken in der Toilette war streifig von Dreck und Blut, und unten im Abfluss lag ein Zahn. Ein Vorderzahn mit Wurzel und allem Drum und Dran, braun gefärbt von Kaffee und emsigem Rauchen.
    Therese entdeckte etwas Hautfarbenes auf dem Toilettenregal und trat näher heran. Der Anblick ließ sie erschaudern. Es war ein Ohr. Ein sorgfältig abgeschnittenes und gesäubertes Ohr ohne jede Spur von Blut. Ich muss raus hier, dachte sie. Das ertrage ich nicht.
    Doch da entdeckte sie die Schraube, die herausragte.
    »Sonny!«, rief sie und sah ihn bereits in der Türöffnung.
    »Eine Prothese«, beruhigte er sie. »Dem Alten ist vor ein paar Jahren bei einer Messerstecherei das Ohr gekappt worden. Deshalb wird er Korva genannt, das bedeutet Ohr auf Finnisch.«
    Vorsichtig drehten sie den ohnmächtigen Körper um, und Therese konnte feststellen, dass es stimmte. Auf der Schädelseite, die auf dem Boden gelegen hatte, gab es kein Ohr, nur eine Schraubwindung aus Titan. In den Schädel führte ein feuchtes rotes Loch, und in dem Loch steckte ein abgebrochener Stiel mit einer kleinen, verwelkten Butterblume. Sonny zog ihn vorsichtig heraus.
    »Die haben vielleicht Humor, seine Saufkumpane«, kommentierte er trocken.
    Sie warteten, bis der Krankenwagen kam. Sonny rief beim Sozialamt und beim Wohnungsamt an, er konnte nicht mehr sagen, zum wievielten Mal.
    »Da hast du ein bisschen Lokalkolorit bekommen«, sagte er,

Weitere Kostenlose Bücher