Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
in seinem Nacken oder genauer gesagt direkt darüber. Dreht die Axt, um nicht mit der Schneide zu schlagen. Die stumpfe Seite ist besser. Nicht so schwer sauber zu machen. Man hebt das Werkzeug bis über die Schulter hoch, spannt die Muskeln an und zielt. Er merkt nichts. Doch genau in dem Moment öffnet sie die Augen und schaut. Starrt über seine Schulter hinweg. Er hört auf zu wippen. Dreht sich halb um. Und gerade in dem Moment saust die Axt hinunter, kommt Fahrt in den eisigen Eisenkeil.
    Das Merkwürdige bei dieser Sache ist, dass ich gegen die Todesstrafe bin. Niemand hat das Recht, Gott zu spielen. Das widerspricht allem, was ich glaube, ist vollkommen tabu, und dennoch will mein Körper nur eins: zuschlagen.
     
     
    SONNY
     
    Da stehe ich während der Propagandatage in Berlin. Ich gebe mich als Pressefotograf aus, aber in meinem Kamerastativ verbirgt sich eine geschickt eingebaute Pistole. Der Kanzler posiert vor einem Architekturmodell der neuen Hauptstadt Germania, die er erbauen lassen will, er spannt die Muskeln an in seiner Uniform, vor der Gruppe extra eingeladener Journalisten, die Zugang haben, und ich richte mein Objektiv auf seinen Kopf. Der Abstand beträgt nur vier Meter, und ich ziele direkt auf den Kopf, genau oberhalb des merkwürdigen, geradezu verstümmelten Schnurrbarts. Es ist das Jahr 1938, November, und in den nächsten Jahren werden sechs Millionen Juden und Andersdenkende ermordet werden. Das hat er bereits entschieden. Er hat sich das Recht genommen, das Recht des Allmächtigen, zu strafen und zu vernichten. Doch in diesem Augenblick steht er selbst auf der Schwelle. Er weiß es nicht, aber seine Stunde hat geschlagen. Er befindet sich auf der einen Waagschale, ein einsamer Herr in Uniform. Die andere Waagschale ist bis zum Rande gefüllt mit Menschenmassen, auf die schreckliches Leiden und der Tod warten. Eine der Schalen muss geleert werden. Die andere kommt frei.
    Ich stehe so nahe, dass ich den Geruch des Mannes wahrnehmen kann. Leder und Pomade. Und Magensäure. Ein leichter Hauch von frischem Aufstoßen. Er ist gehetzt, hat so viel zu erledigen. Über sechs Millionen kleine Angelegenheiten warten.
    Mein rechter Daumen liegt auf dem eingebauten Abzug. Die Entscheidung liegt dort. Im nächsten Moment wird der Mann in die Halle mit arischer Kunst gehen, dann ist es zu spät. Nur jetzt, in genau diesem Moment, kann ich abdrücken. Auf diese kurze Entfernung ist es unmöglich, ihn zu verfehlen.
     
     
    ESAIAS
     
    Ich war sechs Jahre alt, als ich es zum ersten Mal getan habe. Papa und ich waren mit dem Boot unterwegs, und ich durfte meine eigene Angel halten. Dieses Gefühl, wenn die Spule erzittert, geradezu elektrisch in der Hand. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, traute mich nicht einmal zu rufen, bis Papa merkte, was los war. Sofort hörte er auf zu rudern und holte die Schnur ein, und am Ende saß ein kleiner, zappelnder Silberkörper mit einer Fliege im Mundwinkel. Papa löste den Haken und gab mir den Fisch. Zeigte, wie ich ihn halten sollte, mit dem Bauch nach oben. Und schlug den kleinen Fischnacken gegen das Sitzbrett.
    Ich versuchte es auch. Er startete den Bootsmotor, damit wir nicht mit der Strömung mitgerissen wurden. In der Hand hielt ich ein kleines, glitschiges Fischlein. Ich ließ es fallen und sah, wie es im Wasser im Boot zappelte. Papa ließ mich machen. Ich drückte fest mit beiden Händen zu. Ein bisschen Fischscheiße wurde herausgepresst. Dann schlug ich mit langsamen, unbeholfenen Bewegungen zu. Spürte, wie das Zappeln stärker wurde und dann erstarb. Mit einem leichten Zittern verschwand.
    Papa sah zu, sagte aber nichts. Er fuhr langsam gegen die Strömung. Er lobte mich nicht, gab keinen Kommentar ab. Aber es gab etwas Neues zwischen uns, etwas Starkes. Eine ungewohnte Wärme, die uns zusammenhielt.
    Wir kamen an Land, und Papa säuberte seinen Fang. Als nur noch meine Äsche übrig war, reichte er mir sein Messer. Der Schaft war noch warm von seiner Hand. Er zeigte mir, wie man schuppt, und wartete dann geduldig, obwohl es seine Zeit dauerte. Die glänzenden Fischschuppen spritzten hoch wie Glitter. Dann musste ich den Fischbauch öffnen. Ungeschickt stach ich die Messerspitze hinein und drückte sie von den Brustflossen bis zum Darmausgang, so dass sich die weiche Bauchhaut öffnete. Papa zeigte mir, wie ich all die violetten, weißen und roten Tüten da drinnen herausschaben musste und den kleinen Kopf mit den Kiemen abschneiden konnte. Zum

Weitere Kostenlose Bücher