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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Schluss wurde der Körper im Flusswasser abgespült und das Blut mit meinem Jungendaumen von der Mittelgräte weggekratzt. Dann hielt ich ihn einfach nur in der Hand. Eine kleine, weiche Tüte, ganz kalt. Ich zupfte an der Rückenflosse und zog sie vorsichtig hoch. Sie entfaltete sich wie ein dunkler, glänzender Fächer, überraschend groß, fast wie ein Flügel. Noch konnte ich das Zittern erinnern, dieses fast elektrische Gefühl. Aber jetzt gab es nur noch Schweigen. Etwas Glitschiges, das schwer in der Handfläche lag.
    Als wir nach Hause kamen, kochten wir die Äschen, und Mama sagte nichts Besonderes zu unserem Fang. Aber dann legte sie mir meinen kleinen Fisch mit ein paar Kartoffeln auf den Teller. Und das war als Lob gedacht, so sah ein Lob in Tornedalen aus. Frisch gekochter, dampfender Fisch, ein wenig gekrümmt von der Hitze. Ich löste ein Stück Fleisch mit der Gabel. Schob es in den Mund, spürte den weichen Äschegeschmack. Ein weißer Geschmack, fast wie Regen.
    »Der ist gut gesalzen«, sagte ich, wie ich es von den Erwachsenen gehört hatte, und beide, Mama und Papa, lachten. Ich aß das, was ich getötet hatte, und das war Tornedalen. Das war der Wald, das war der Fluss, und das waren meine ersten zehntausend Jahre.
     

II
     

15
     
    Die Kerle sind wirklich anders hier, dachte Therese. Tornedalmänner. Sie schlenderte durch Pajalas kleines Zentrum, auf dem Weg zur Post, es war kurz nach zwölf Uhr, und es gab eine leichte Andeutung von Rushhour. Ein paar Autos standen an der Kauppiskreuzung, während andere Fahrzeuge den Kirunavägen entlangfuhren. Mittagszeit. Die Leute wollten sicher nach Hause und etwas essen. Die Autos sahen häufig neu aus. Wahrscheinlich hatten die Leute hier Geld, natürlich waren die sonstigen Kosten gering, die Häuserpreise betrugen sicher nur ein Zehntel gegenüber dem Süden. Und bestimmt waren so manche schwarz gebaut worden. Eine Hand wäscht die andere. Wenn du mir bei meinem Ferienhaus hilfst, dann bastle ich dir eine Homepage.
    Die Gesichter der Männer fielen auf. Ihr Gesichtsausdruck. Sie hatten etwas Verschlossenes an sich, Autistisches. Es fehlten Gefühle, aber nicht so wie in der Stadt. Dort trugen die Männer auch Masken, aber mit diversen beweglichen Teilen. Mechanisches Lachen mit dem Kiefer, Stahlkugelaugen, die zwischen Kleidern und Rechnungen hin und her huschten, etwas Eckiges, Nervöses, was die Stimmen schrill klingen ließ. Macht und Ambitionen, und die stete Angst, abzustürzen, mit fliehenden Mantelschößen die Hochhausfassade entlangzufallen und zu reinem Dreck zermust zu werden.
    Hier sahen die Visagen wie Kartoffeln aus. Kartoffeln mit Mütze und Kartoffeln ohne Mütze. Wenn sie sich in ihren Autos begegneten, grüßten sie einander mit einem merkwürdig verdrehten Seitennicken, es sah aus wie ein Tick, als würde der Kopf von einem Fußball an der Schläfe getroffen.
    Vor dem Lebensmittelgeschäft saßen sie auf dem Fahrersitz, während die Frauen allein hineingingen, um einzukaufen. Sie brauchten einen Schutz. Sie wollten spüren, dass etwas sie umhüllte. Ihre Autos, das waren ihre Grotten, ihre Erdhöhlen, in die sie hineinkletterten, in denen sie sich nach dem Wehrdienst versteckten, ihr Jungenzimmer mit dem Schild an der Tür, dass Unbefugte sich fernzuhalten hatten. Wenn sie gezwungen waren, hinauszugehen, beispielsweise zur Schlange vor dem Geldautomaten oder beim Tanken, überfiel sie etwas Ängstliches, Scheues. Eine Schutzlosigkeit, ein krumm gebeugter Rücken, Schildkröten, die ihre Panzer verloren hatten. Sie lächelten nicht, das Leben war nicht so problemlos. Sie starrten aus den Augenwinkeln in alle Richtungen, um eine mögliche Gefahr zu wittern. Wenn sie sich außerhalb ihrer Autos befanden, sah man nie dieses seitliche Nicken, stattdessen nahmen sie miteinander Kontakt durch eine Art schneller Grimassen auf. Jaha. Du auch hier. Keine offensichtliche Herzlichkeit, kein Handschlag, keine eingeübten Gesten, nur Signale dahingehend, dass man einander wiedererkannte und sich nicht feindlich gesonnen war.
    So sind sie hier geworden, dachte Therese. Männer, denen der Ehrgeiz fehlt. Ihr Fleisch wird schlaff, sie werden schlaff im Geist, sie haben vor dem Leben selbst resigniert. Wenn sie eine unbekannte Frau wie Therese entdeckten, wurden sie gestört. Entweder drehten sie sich daraufhin in ihre Richtung und glotzten, ohne auf die Idee zu kommen, zu grüßen oder sich vorzustellen. Oder sie taten, als wäre sie unsichtbar.

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