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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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fast leergeräumten Küche um. Ein ganzes Leben. Es würde nur ein paar Tage dauern, dann war alles weggeschafft. Das Haus sollte verkauft werden, neue Besitzer einziehen. Neues Leben, neue Stimmen, neue Schicksale. Das war traurig, direkt etwas unangenehm. Fast als wollte er seinen Onkel Martin ausradieren.
    Als der Abend sich näherte, musste Jan Evert sich eingestehen, dass das Räumen noch mindestens einen Tag in Anspruch nehmen würde. Er ging das kurze Stück zu Fuß zum Bykrog, wo er etwas aß und eine kleine Karaffe Rotwein dazu trank. Dann wanderte er in der einsetzenden Septemberdämmerung zurück durch den Ort. Einige Kraniche steuerten den Süden an, hoch über den Dächern. Er hörte ihre traurigen Hornstöße. Erinnerte sich an die Zeltnächte am Täkern mit Margaretha während des Studiums. Kräutertee in der Thermoskanne. Der Tanz der Kraniche. Das erste Mal, dass sie sich liebten.
    Das Haus war fast schwarz, er hatte bereits alle Deckenlampen abgeschraubt. Dumm gelaufen, das hätte bis zum nächsten Tag warten können. Jetzt musste er kopfüber in den Container und eine Stehlampe wieder herausholen, die er bereits weggeworfen hatte. Glücklicherweise hatte die Glühbirne überlebt, und bald hatte er Licht im Wohnzimmer. Den alten Farbfernseher bekam er auch in Gang, schnell schaute er sich die Nachrichten an und wechselte dann zu einem der finnischen Kanäle. Eine Unterhaltungssendung, bei der die Männer ihre Frauen huckepack über eine komplizierte Hindernisbahn tragen mussten. Eifrig kommentiert in dieser sonderbaren, stockenden Sprache mit ihren singenden Diphthongen. Er schaute eine Weile zu und versuchte herauszubekommen, wo ein Wort endete und das nächste anfing, aber alles vermengte sich zu einem einzigen kompakten Konsonantenbrei. Mutters Geheimsprache, die sie mit nach Västeräs gebracht hatte, aber fast nie zeigte. Sie hatte beschlossen, ihn außen vor zu lassen.
    Einen Moment überfiel Jan Evert Wehmut. Was ihn als Teenager fast hatte ertrinken lassen, mit dem zu leben er dann aber gelernt hatte. Diese Leere. Diese verlassene Holzhütte. Sein Vater, der auch versuchte schwedisch zu werden, es wirklich versuchte. Aber es hatte die ganze Zeit hervorgelugt, dieses andere Leben. Die Wurzeln, die nie einen Halt gefunden hatten. Jan Evert spürte die alte Zerrissenheit, diesen Schatten, der ständig neben ihm lief. Die Bewegung eines Fremdlings im Augenwinkel. Sein ganzes Leben lang lief da ein anderes, paralleles Leben nebenher. Als hätte er einen Zwillingsbruder gehabt. Einen, der das richtige Leben lebte, das, was er selbst gewählt hatte. Irgendwie war er auf einem Nebengleis gelandet, neben sich selbst. Wie zwei Stämme des gleichen Baumes fühlten sie sich, getrennt, aber an der Wurzel waren sie vereint. Zerrte man an dem einen, spürte es der andere.
    Nach einer Weile stellte er den Fernseher aus. Draußen zog sich die Herbstfinsternis zusammen, die Straßenlampen schienen durch die Kiefern auf das Grundstück. Im Nachbarhaus brannte im oberen Stock eine rote Fensterlampe. Erst jetzt kam ihm der Gedanke, dass die Nacht unangenehm werden könnte. Er war der Erste, der hier seit der Bluttat übernachtete.
    Jan Evert machte sich das Sofa im Wohnzimmer zurecht. Ein paar Decken und ein Kissen. Um auf andere Gedanken zu kommen, blätterte er in Nature, das er von seiner Arbeit mitgenommen hatte, und vertiefte sich in die steigende Zahl an Umweltgiften, die in Albatrossen gefunden wurden. Dioxine und bromhaltige Flammenschutzmittel. Und immer noch fand man Spuren von DDT, Jahrzehnte, nachdem es verboten worden war. Was man sät, muss man ernten, alte Sünden schlagen zurück.
    Mit etwas unheimlichem Gefühl löschte er das Licht. Vorsichtig horchte er. War der Alte noch da, der arme Onkel Martin? Seine Todesschreie, zusammen mit den kurzen Atemstößen des Mörders? Nein, das Haus war still. Der Tod war gegangen.
    Der Tod. Vor zwölf Jahren war Jan Evert an einem Forschungsprojekt über die Brasse beteiligt gewesen. Hobbyangler nördlich von Västervik hatten sie lebendig abgeliefert, in Wassereimern und großen Bottichen schwimmend. Er hatte sie getötet und seziert, eine nach der anderen. Rauf auf den rostfreien Metalltisch und dann mit dem Kupferende einen Schlag in den Nacken. Schnell heraus mit Leber, Nieren, Hypophysen und eine Flosse abgeschnitten. Rein in schon beschriftete Präparattüten. Dann ins Eisfach und weg ins Labor. Insgesamt hundert Individuen hatte er getötet. Er hatte

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