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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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raschelte in den Blättern, von den Baumkronen der Kiefern war ein lauteres Sausen zu hören. Seit mehreren Stunden stand er schon hier. Hatte gewartet. Über den Bruch gespäht und gehorcht, war selbst zu einem Teil der Stille geworden.
    Diese karge Landschaft hier, das war sein Tornedal. Die Touristen aus dem Süden erwarteten etwas viel Großartigeres, unberührte Urwälder mit mächtigen Windbrüchen, meterdicke Moosschichten, Felsschluchten, in denen sich Trolle und Geister aufhielten. Aber das Tornedal war kein Bild von John Bauer. Es war ein flacher Dschungel aus Gestrüpp, so platt, dass es dem Schmelzwasser der Schneemengen aus dem Winter Probleme machte, zu verschwinden, es lief nicht fort, sondern sammelte sich in riesigen Moorgebieten, die keinen Menschen hielten, vollkommen durchnässtes Sumpfland, in dem sogar ein ausgewachsener Elch versinken und spurlos verschwinden konnte. Da gab es Ruotovuoma und Koijuvuoma und Vännijänkkä und Salmivuoma, und da gab es Kokkovuoma, das so riesig war, dass es ganz Kaunisvaara schlucken konnte, ohne dass auch nur eine Parabolantenne noch herausragen würde.
    Der Wald war ein feuchter Baumteppich, der über die Moränen ausgerollt worden war, auswärtige Besucher empfanden ihn oft als eintönig. Aber der Schein trog. Überall in dem Flachen und Mageren gab es Variationen. Kleine Nuancen in der Landschaft, die seit Menschengedenken einen Namen trugen. Sobald sich das Gelände nur eine Spur hob und trockener wurde, entstand ein lehto oder kangas oder rova oder saajo oder männikkö oder ganz einfach ein maa. Und dazwischen lagen die Sumpfgebiete, ein jänkkä oder rimpi oder vuoma, das in einen See übergehen konnte, ein järvi oder lompolo, wie ein blauer Spiegel. Und zwischen all dem schlängelten sich Wasseradern, ein schüchterner oja oder ein größerer joki hin zu dem väylä selbst, Tornion väylä, die stolze Königin der Landschaft. Und der Fluss selbst trug in jeder Ecke einen neuen Namen, da gab es suanto und koski und niemi und lahti überall auf der langen Reise hinunter nach Haaparanta, Asparnas Strand.
    Das Gebiet, auf dem er sich jetzt befand, hieß Kiimamaa, das Brunstland. Esaias drehte sich erneut und spähte einmal in die Runde. Nichts. Auf der Leeseite war das natürlich zu erwarten. Der Wind führte seinen eigenen Geruch kilometerweit mit sich, und jede Elchnase in dieser Richtung würde ihn wittern und sich für einen Umweg entscheiden. Aber im Gegenwind könnte etwas passieren. Er musterte das Laubgestrüpp gut hundert Meter entfernt. Dort schimmerte etwas Dunkles. Nein, es bewegte sich nicht, nur eine zur Hälfte abgebrochene Kiefer. Das Funkgerät knackte, im Kopfhörer hörte er, dass einer der Hunde bei Svantes Pass angekommen war. Ansonsten war es still. Gefleckte Wolken zogen von Nordwesten her auf. Ein Schwarm von Grauzeisigen huschte vorbei, zupfte an einem Kiefernwipfel und zog dann rastlos weiter. Alle Lebewesen bargen eine Rastlosigkeit wegen des kommenden Winters in sich. Sie mussten es noch schaffen, genügend zu sammeln. Genügend zu fressen.
    Und dann kam sie. Vollkommen überraschend tauchte sie auf und stand dann da, ernst, auf ihren langen, schönen Beinen, mit großen Augen. Therese, dachte er. Sie senkte den Kopf und näherte sich, ihre Lippen bewegten sich, aber er konnte kein Wort vernehmen.
    Vorsichtig nahm er das Gewehr vom Nagel. Lautlos senkte er den Lauf auf das Holzgeländer und sah den flackernden roten Punkt im Visier. Das Gewehr wurde ruhig, bekam einen Halt und begann langsam mitzugehen. Der Finger krümmte sich, zog durch. Und da kam der Pferdetritt gegen die Schulter und der zerreißende Knall, als hätte man eine sehr große Pappe zerrissen, sie quer über den Horizont zerrissen.
    Und anschließend die Stille. Der Handschweiß. Der trommelnde, rasende Puls.
    Lange blieb er stehen und hielt Ausschau nach der halberwachsenen Elchkuh. Ihre schwebenden, geschmeidigen Bewegungen, als sie durch das Unterholz fortlief. Er brach das Gewehr auf und fing die aufgeplatzte Leerhülse mit der Hand. Sie war immer noch brandheiß. Das Funkgerät knackte:
    »Kukas se ampu? Wer hat geschossen?«
    Er zog langsam den Sender aus der Brusttasche.
    »Esaias täälä. Mie ammuin naarasta ja pummasin. Esaias hier, ich habe eine Elchkuh verfehlt.«
    »Oleks varma ette pummasit? Bist du sicher, dass du sie verfehlt hast?«
    Er erinnerte sich an das Schulterblatt im Visier. Das grauschwarze Tier, das vollkommen still stand mitten im

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