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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs
Autoren: Mikael Niemi
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für euch gemacht.«
    Sie setzten sich zögernd, die Mutter servierte Wein und ließ sich an der leeren Stirnseite nieder. Da würde sie sitzen und zugucken, dachte Esaias. Zugucken, wie wir kauen.
    »So, so, dann hast du also einen Finnen gefunden«, sagte die Mutter, während sie mit dem Besteck klapperten.
    Ihr Dialekt war speziell. Zuoberst ein neutrales Reichsschwedisch, doch darunter Schicht für Schicht eine Unzahl von Lagen aus Schonisch, Småländisch, Östgötisch und alle anderen Dialekte der Landstriche, in denen sie gelebt hatten. Bei Therese war das alles zu einem soliden Zinnklumpen verschmolzen, während sich die Sprache bei der Mutter noch wie eine Haarbürste spreizte.
    »Tornedal ist nicht Finnland«, bemerkte Therese.
    »Nicht? Wann ist es denn schwedisch geworden?«
    Esaias kaute schmunzelnd.
    »Pajala hat immer in Schweden gelegen«, stellte er ruhig fest. »Was man von Simrishamn kaum behaupten kann.«
    Das hat gesessen, dachte er. Ich rede ja schon wie Ragnar Lassinantti!
    Esaias aß weiter, der Auflaufteig war so kalorienarm, dass er an Schaumstoff erinnerte. Luftigen, weichen Schaumstoff. Er spürte, wie die Mutter ihren Blick drehte, wie er in den Fokus geriet. Wie ein Prickeln an den Schläfen, wenn man zu nah an einem eingeschalteten Mikrowellenherd steht.
    »Vielleicht kann Esaias erzählen, womit er sich beschäftigt?«
    Esaias nahm einen großen Schluck Wein.
    »Ich stemple«, sagte er kurz und knapp.
    »Ach so, ja, wir bezahlen ja gern«, rief die Mutter aus. »Und unsere Steuern gehen ja sowieso dort in den Norden hinauf!«
    »Mama!«, protestierte Therese.
    »Ich habe euch eine Nacht hier versprochen, aber ich möchte, dass Sie anschließend meine Tochter verlassen.«
    »Mama, hör auf!«
    »Nimmt er auch Drogen? Typen von seinem Schlag begegne ich oft in der Notaufnahme, man kann es an den Augen sehen. Am Blick, an den Pupillen.«
    »Danke für das Essen, es war zum Kotzen«, sagte Esaias.
    »Ach, schon gut.«
    Er wollte noch mehr sagen, doch sein Kopf hämmerte unerträglich. Deshalb stand er stattdessen auf, ohne sich zu bedanken, hinkte zum Sofa vor dem Fernseher, ließ sich der Länge nach darauf fallen, die Füße auf die Armlehne und schlief ein.
    Die Mutter nahm einen Schluck Wein. Ließ ihn langsam im Mund rollen. Zu einer Blutrose anwachsen.
    »Ein Arbeiterjunge«, sagte sie nachdenklich.
    »Ich hatte ihn gebeten, die Schuhe anzubehalten.«
    »Zum Kotzen gut!«
    »Mama, er hat eine Gehirnerschütterung. Es war ein Notfall. Wir wussten nicht, wo wir sonst hingehen sollten.«
    Die Mutter betrachtete sie mit unbeweglicher Miene.
    »Und, was meinst du, worum es sich handelt?«, fragte sie dann.
    »Ich glaube, das wird was mit uns beiden«, sagte Therese.
    »Du und er. Das glaubt man immer. Erinnere dich dran, wie es mit Großmutter gelaufen ist.«
    Esaias fiel das Kinn herunter, so dass sein Mund offen stand. Ein verspeicheltes Schnarchen war zu hören. Immer und immer wieder.
    »Es ist nie so wie im Film«, stellte die Mutter fest.
     

42
     
    Der gemeinsame König von Schweden und Norwegen, Oscar II., saß an seinem Amtspult und schrieb. Wieder hatte es angefangen, im Kreuz zu ziehen. Immer wieder rutschte er auf den beiden fest gestopften Rosshaarkissen hin und her, die sein Hohlkreuz ausgleichen sollten. Mal wurde der Schmerz weniger, aber ganz hörte er nie auf. Es war ein beharrliches langsames Nagen. Das stolzeste Holzhaus konnte mit der Zeit von den unbedeutendsten Mäulern durchbohrt werden. Kleine, blinde Larven. Die erbärmlichsten aller Ameisen. Und dennoch sah man sie nicht. Die Pracht der Fassade war nicht angetastet, das Gerüst ragte empor und trug das Dach über den festlich gekleideten Herrschaften, die langen Handschuhe der Damen dufteten nach Myrthe und die Stiefel der Offiziere nach Vollbluthengsten, Streichmusik wurde gespielt, Gläser würdevoll gehoben:
     
    Du Mann, wo ist dein Schwert?
    Wo ist deine Tugend, du Frau?
    O Finnlands weites Grab!
    O vergossnes Blut der Väter!
    Was wird nur aus der Erde,
    die euer Mut doch schützte!
     
    Kleine, unbedeutende Kiefer formten nadeldünne Labyrinthe durch den Stoff, ein hohles Spinnennetz, feiner als das Haar in der Nackengrube einer Frau, ein Netz, das unsichtbar durch das Gebäude wuchs, gewebt in seinem Verfall, ersetzte die nordische Stärke des Holzes mit den Kapillaren des Verrats. Der Baumstamm sah immer noch genauso aus, für das Auge gab es keinen Unterschied. Aber wenn man mit dem Finger auf ihn
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