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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Rheinuferstraße sorgte für eine gespenstische, ja unheimliche Szenerie. Im Zelt sah man ein Feuerzeug aufflackern. Von drinnen kamen eindeutige Geräusche.
    Röhrdanz fürchtete, ohnmächtig zu werden.
    Die Polizisten rissen den Eingang zum Zelt auf, darin erkannte Röhrdanz zu seinem grenzenlosen Entsetzen vier oder fünf ineinander verkeilte Menschenleiber, die
halbnackt auf den Luftmatratzen lagen. Es roch süßlich nach Gras oder Haschisch oder wie das Zeug hieß, und als sich die jungen Leute erschrocken aufrappelten, kullerten ihm leere Flaschen entgegen. Röhrdanz steckte seinen Kopf in die Luke.
    Ganz hinten, an der Zeltwand, auf einem abgewetzten Schlafsack, lag seine Denise. Ihre Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen, und ihr Schrei, als sie ihren Vater erkannte, zerriss sein Herz. Ein heftiger Schmerz durchzuckte seinen Brustkorb.
    Danach spürte Röhrdanz nichts mehr. Um ihn herum wurde alles schwarz.

35
    »Sie haben einen schweren Herzinfarkt nur knapp überlebt«, sagte der Arzt, der an seinem Bett saß. Röhrdanz hörte seine Stimme wie von ganz weit weg. »Wissen Sie eigentlich, wie viel Glück Sie gehabt haben?«
    »Ich? Glück?!«, rang sich Röhrdanz von den ausgedörrten Lippen. Da war doch was gewesen, etwas Bedrohliches, etwas, dem er sofort Einhalt gebieten musste … Dann kehrte die Erinnerung gnadenlos zurück.
    »Wo ist Denise?« Er versuchte sich aufzusetzen, sank aber kraftlos auf sein Kissen zurück. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er an Schläuche und Kabel angeschlossen war. Irritiert sah er an sich herunter. Er hatte einen dieser Krankenhauskittel an, die auf dem Rücken mit Schlaufen zusammengebunden werden. Einen Kittel, wie sie frisch Operierte tragen.
    »Wir mussten Sie operieren«, informierte ihn der Arzt mit einer Stimme, die einfach nicht näher kommen wollte. »Wir haben Ihnen eine Gefäßprothese, einen Stent, eingesetzt. Sie müssen sich schonen, Herr Röhrdanz, Aufregung schadet Ihnen jetzt ganz immens!«
    »Angela! Wo ist Angela?!« Wieder versuchte Röhrdanz sich aufzurichten, doch der Arzt drückte ihn mit sanfter Gewalt in die Kissen zurück.

    »Ihre Frau und die Kinder waren schon hier«, hörte Röhrdanz ihn mit wabernder Stimme sagen.
    »Denise …?«
    »Denise war auch dabei.« Die Stimme klang beruhigend, sie entfernte sich so weit, als käme sie von einem anderen Planeten.
    Angela war hier gewesen. Mit den Kindern. Mit Denise.
    Das waren seine letzten Gedanken, bevor er in einen langen, erholsamen Schlaf fiel.
     
    Z wei Wochen später wurde Röhrdanz mit dem Krankenwagen in die Rehaklinik gefahren, wo er noch viele Wochen bleiben musste.
    Angela und die Kinder besuchten ihn jeden Tag. Sie brachten ihm selbst gebackenen Kuchen, die Post und jene persönlichen Dinge, die ihm das Leben hier erleichtern sollten.
    Nun war er der Patient, und Angela kümmerte sich rührend um ihn.
    War ihre Ehe nicht eine große Symphonie in Moll?
    So wie er früher bemühte sich seine Frau um einen lockeren, heiteren Ton und plauderte über den Alltag zu Hause. Gut gelaunt erzählte sie, dass sie sich zu einem Schwimmkurs angemeldet und bei den Weight Watchers weitere fünf Kilo abgenommen hätte.
    »Das ist mir nicht mal schwergefallen«, sagte sie lachend, während sie Röhrdanz’ frisch gewaschene Wäsche in den Schrank räumte. »Wenn mein lieber Mann
nicht zum Essen nach Hause kommt, schmeckt es mir auch nicht …«
    Ihre Bewegungen waren immer noch etwas grobmotorisch, aber sie gab sich unendliche Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Was für eine tapfere, starke Frau, dachte Röhrdanz überwältigt. Wie sehr ich sie doch liebe.
    Denise war zurückhaltend und blass, auch ihr schien es nicht zu schmecken. Sie wirkte sehr bedrückt, und eines Tages war sie völlig verweint, als sie schüchtern im hinteren Teil seines Krankenzimmers stehen blieb.
    »Was ist los, mein Herz? Komm, setz dich zu mir ans Bett!« Einladend klopfte Röhrdanz mit der Hand auf sein Laken. »Ich reiß dir schon nicht den Kopf ab. Die Sache mit dem Zelt ist vergessen, Schwamm drüber. Nun komm schon. Setz dich. Wie geht es in der Schule?«
    Denise kniff die Lippen zusammen und wandte sich ab. Plötzlich bemerkte Röhrdanz, dass ihre schmalen Schultern zuckten. Hatte sie eine schlechte Note bekommen? Würde sie womöglich sitzenbleiben? Na, das würde die Familie auch noch verkraften.
    »He, Kleines? Weinst du etwa? Ist schon gut, egal was los ist, dein alter Vater wird dir nicht böse

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