Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
angewiesen.
    Immer öfter stand Angela mit ihren Enkeln besorgt am Gartenzaun und wartete auf ihn.
    Im Winter pflegte sie hinter dem Wohnzimmerfenster zu stehen. Wenn er sich verspätete, weil er in der Firma Überstunden machte, konnte sie richtig in Panik geraten.
    Doch die Sorge um ihre einzige Tochter zehrte am meisten an ihren Kräften.
    Angela wusste, dass Denise keine glückliche Kindheit gehabt hatte. Sie gab sich selbst die Schuld dafür.
    Auch machten ihre Nerven häufiger nicht mehr mit, und sie brach in Tränen aus. Wieder einmal musste sich Röhrdanz an seine Schwiegermutter Helga wenden:
    »Kannst du heute die Kleinen aus dem Kindergarten holen? Angela fühlt sich nicht so gut. Ich habe sie zum Arzt gebracht.«
    Helga half zwar aus, machte sich aber auch Sorgen. »Angela ist nach allem, was sie durchmachen musste, mit den Enkelkindern überfordert, du darfst das nicht zulassen, Michael!«
    Helga hatte recht, aber was sollte er tun? Schweigend legte er auf.
    Das alles warf Angela um Jahre zurück. Der Optimismus, die Kraft und Fröhlichkeit der inzwischen Vierundvierzigjährigen schwanden dahin.
    Röhrdanz brach es fast das Herz. Ein Herz, das ohnehin schon einen gewaltigen Sprung hatte. Irgendetwas musste passieren. So konnte es jedenfalls nicht weitergehen.

37
    Ein purer Zufall brachte die Wende.
    Die Krankenkasse hatte geschrieben, dass noch im laufenden Jahr eine Mütter-Kur in Anspruch genommen werden könne.
    Achtzehn Jahre waren vergangen, seit Angela plötzliche ins Koma gefallen war, als Röhrdanz beschloss, seine Frau über Weihnachten und Neujahr in ein Müttergenesungsheim zu schicken.
    Bei einem winterlichen Spaziergang durch den Stadtpark brachte er ihr schonend bei, dass sie gut daran täte, dieses Angebot anzunehmen.
    Arm in Arm stapften die beiden in ihren Wintermänteln nebeneinanderher. Jeder von ihnen schob einen Kinderwagen. Beide Enkelsöhne schliefen, dick eingepackt. Nur ihre rosigen Wangen und Nasenspitzen schauten heraus.
    »Du wirst zwar Weihnachten nicht bei uns sein, aber dafür kommst du im neuen Jahr erholt zurück.«
    Wie von unsichtbarer Hand gelenkt, gingen die beiden in Richtung Friedhof. Vielleicht wegen der tröstlichen Ruhe, die von diesem Gottesacker ausging.
    Die Grabsteine lagen unter einer dünnen Schneeschicht. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Röhrdanz hörte nur das Knirschen ihrer Stiefel und der
Kinderwagenreifen auf dem mit Raureif bedeckten Boden. Sie hatte ihre Hand in seine Manteltasche geschoben, als sie kurz stehen blieb, um zu verschnaufen.
    »Was sind denn das hier für Denkmäler? Die sehen aus wie Schubladen. Kann man da sein Grabschäufelchen reintun …?«
    »Keine Ahnung. Ach so, warte mal: Da sind die Urnen drin. Schau: Überall stehen Namen drauf.«
    »Die zweite Schublade von oben links ist offensichtlich noch zu haben«, scherzte Angela. »Die gefällt mir. Wenn ich mal tot bin, kannst du meine Urne hier reinschieben.«
    »Hör auf, Schatz. Mach keine solchen makabren Scherze. Da bekomme ich ja Angst!« Röhrdanz zog Angela weiter. »Raff dich auf, Liebes. Die Kur wird dir guttun. Du brauchst Abstand.«
    Zu Hause angekommen, hatte er sie zu dem Erholungsurlaub im Müttergenesungswerk überredet. Angela packte resigniert die Koffer: »Da Denise uns für Weihnachten abgesagt hat, wäre es ohnehin kein richtiges Familienfest geworden.«
    »Ich weiß. Aber Denise feiert Weihnachten eben auf ihre Art. Du sagst doch immer, man soll ihr Zeit geben.«
    Angela seufzte und blinzelte ihre aufsteigenden Tränen weg. »Bin ich froh, dass du das endlich auch so siehst …«
    »Ja, das tue ich. Weißt du was? Dieses Weihnachten wird eine reine Männerpartie: Oliver, Philip, Patrick, Maurice, Leon und ihr alter Oberindianer werden einen Ochsen überm Lagerfeuer grillen.«

    Angela lachte. Aber gern ließ sie ihre Lieben nicht zurück.
     
    B ald darauf saß Angela schweren Herzens im Wagen neben ihrem Mann und tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie Kraft tanken würde.
    »Wart’s nur ab, mein Schatz«, sagte Röhrdanz betont fröhlich, »du wirst richtig Spaß haben mit den anderen Müttern! Ich wette, du wirst deine Dreck und Krach machenden Männer gar nicht vermissen.«
    Angela war so nah am Wasser gebaut, dass sie auch jetzt wieder weinen musste: »Danke, dass du mir diese Verschnaufpause gönnst und unseren Jungs ein schönes Weihnachtsfest bereiten willst.« Sie putzte sich die Nase und fügte dann schelmisch hinzu: »Und danke für die

Weitere Kostenlose Bücher