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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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nachdenken
…« Röhrdanz stand auf und holte die Buchstabentafel. »Ich lasse dir völlig freie Hand.«
    Wieder so eine unglückliche Formulierung, aber Röhrdanz fiel keine bessere ein.
    »Der Kleine ist echt winzig und ganz schrumpelig, aber ich habe ihn gesehen in seinem Aquarium. Er hat sich bewegt, und ich glaube, er hat sogar gekräht.«
    Röhrdanz sah seiner Angela ins Gesicht. Ob sie innerlich strahlte?
    »Also, was könnte zu Denise und Philip passen? Ich weiß, du stehst auf moderne Namen, also nenn ihn jetzt bitte nicht Otto!«
    Geduldig hielt Röhrdanz die Buchstabentafel über die Augen seiner Frau.
    »Erste Reihe?« - Nein.
    »Zweite Reihe?« Nein.
    »Dritte Reihe?« Auch nein!
    »P! Okay, weiter. Erste Reihe? Ja? A … A! Pa …
    Paul? Du willst ihn ernsthaft Paul nennen?
    Nein? Na da bin ich aber froh. Dann mal weiter. Erste Reihe? Nein. Zweite Reihe …? Dritte Reihe? Aha. T … Pat … Patrick? Ja?«
    Ein Blinzeln. »Patrick.« Röhrdanz lehnte sich erschöpft zurück. »Ein schöner Name. Meine Frau hat eben Geschmack.«
    Er saß noch stundenlang am Bett seiner Frau, wie alle Väter, die ein Neugeborenes zu feiern haben, nur dass das Neugeborene in einer ganz anderen Stadt war.
    »Sie haben es mit dem Hubschrauber nach Köln gebracht, in die Kinderklinik.«

    Angela teilte ihm per Buchstabentafel mit: »Fahr hin!«
    »Ja, klar fahre ich da hin. Wenn du mich im Moment nicht brauchst … Du weißt ja, dass du der wichtigste Mensch für mich bist und es auch immer bleiben wirst.«
     
    D ie Klinik in Köln war ein alter roter Backsteinbau und wirkte irgendwie bedrohlich auf Röhrdanz.
    Patrick lag ganz oben in der letzten Etage, in der hintersten Ecke der Frühgeburtenstation.
    Ein junger Arzt führte Röhrdanz zu dem winzigen Brutkasten.
    Der Wurm sah noch kläglicher aus, als Röhrdanz ihn in Erinnerung hatte. Dass er so rot und blau war! Überall an dem winzigen Wesen hingen Schläuche und Kabel, die Händchen waren nicht größer als Münzen, die Füßchen passten in eine Streichholzschachtel.
    »Wir haben Ihren Kleinen gründlich untersucht. Es grenzt fast an ein Wunder, Herr Röhrdanz, aber der Bursche ist kerngesund!«
    »Den Eindruck macht er gar nicht …«, stammelte Röhrdanz, der fassungslos in das Aquarium starrte.
    »Er ist ein ganz normales Frühchen.« Der junge Arzt griff in das Aquarium und nahm das zerbrechliche Etwas mit geübtem Griff vorsichtig heraus. Es passte exakt in seine Männerhand.
    »Wollen Sie Ihren Sohn mal halten?«
    »Nein, nein, lassen Sie mal …«
    »Nehmen Sie ihn, Herr Röhrdanz. Es kann nichts passieren! Sein Zustand ist stabil!«

    Zu seinem grenzenlosen Erstaunen fühlte Röhrdanz plötzlich die warme, fast durchsichtige Haut auf seiner Hand. Mit dem Zeigefinger strich er so sacht wie möglich über das filigrane Köpfchen.
    Sein Sohn krähte. Die Stimme war so zart wie die eines neugeborenen Vögelchens.
    »Hallo Patrick«, stammelte Röhrdanz überwältigt, »Willkommen auf der Welt! Deine Mama kann dich heute noch nicht besuchen, aber wenn ich ihr von dir erzähle, wird sie sich wahnsinnig freuen …«
    »Stimmt es, dass Patricks Mutter im Koma liegt?« Der junge Arzt konnte es gar nicht glauben.
    »Ja, das stimmt«, murmelte Röhrdanz ganz verzückt von seinem Kind. »Sie ist Patrick zuliebe am Leben geblieben … Und sie wird es auch bleiben. Verlass dich drauf, mein Kleiner.«
    »Das ist … absolut unglaublich.« Der junge Arzt schüttelte verwundert den Kopf. »Ich habe gedacht, man wollte mir einen Bären aufbinden.«
    Röhrdanz legte das Würmlein behutsam in den Brutkasten zurück.
    »Das haben alle geglaubt«, sagte er mit leisem Stolz in der Stimme. »Aber ich wusste, dass meine Frau es schaffen wird. Ich wusste es.«

25
    Professor Leyen sollte recht behalten: Die Geburt von Patrick löste bei Angela einen neuen Energieschub aus. Nach der Fingerkuppe, die sie schon an Weihnachten ein winziges bisschen bewegt hatte, schaffte sie es nun, den rechten Arm ein wenig anzuheben, und dann, millimeterweise nur, den Kopf zu drehen. Nach links, nach rechts. Nur wer genau hinschaute, konnte es überhaupt bemerken. Professor Leyen sah es immer als Erster. Er hatte einen geübten Blick dafür.
    Dann war wieder Stillstand. Tagelang, wochenlang. Nichts rührte sich. Ihre Beine wollten überhaupt nicht. Jeden Tag starrte Röhrdanz auf ihre Zehen. Vergeblich.
    Professor Leyen stand besorgt an ihrem Bett: »Frau Röhrdanz, Sie dürfen jetzt nicht aufgeben! Sie

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