Der Mann, der wirklich liebte
haben schon Unglaubliches geschafft! Denken Sie dran: Ihr Kleiner wartet auf Sie!«
Irgendwann hob sie dann die ganze Hand. Wie in Zeitlupe, nur ein wenig.
»Habt ihr das gesehen?«, frohlockte Röhrdanz. »Die ganze Hand!«
»Bleiben Sie am Ball«, sagte Professor Leyen und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Sie sind ihr Motor. Ohne Sie würde gar nichts gehen.«
Unverdrossen übte Röhrdanz mit ihr, tagaus, tagein, so wie er sich das bei den Therapeuten abgeschaut hatte. Er drehte Angelas Arm ganz behutsam nach vorn, nach hinten, nach oben und nach unten. Dann kam der rechte Fuß dran und als Nächstes der linke. Das Knie beugen und strecken und so weiter, bis alle Gliedmaßen bewegt waren. Das dauerte jeden Tag mehrere Stunden.
»Du hast bestimmt schon ganz schön Muskelkater, mein Schatz. Aber du weißt ja: Nur die Harten kommen in den Garten.«
Das war einer ihrer früheren Lieblingssprüche gewesen, und Angela hatte sich oft genug darüber kaputtgelacht.
»Ich hoffe, ich tu dir nicht weh … soooo. Noch ein Stückchen, und noch einmal zurück …«
»Mahlzeit!« Eine freundliche Schwester kam mit einem Tropfbeutel herein und begrüßte Angela: »He, das sieht aber schon gut aus, Frau Röhrdanz! Aber wer Sport treibt, muss auch essen, nicht wahr?« Mit schnellen, geschickten Handbewegungen entfernte sie den Tropf, der über ihrem Kopf hing, ersetzte ihn durch den neuen und sprach dabei die ganze Zeit weiter: »Ich störe ja ungern das junge Glück«, hier zwinkerte sie fröhlich, »aber wenn Sie nachher mit Ihren Übungen fertig sind, müssen wir Sie mal wieder drehen, Frau Röhrdanz.«
Die Schwester zupfte die Laken zurecht und wandte sich dann an Röhrdanz:
»Wollen Sie heute dabei sein, wenn wir Ihre Frau drehen? Dann können Sie das auch gleich lernen!«
»Ja, natürlich.«
»Dann können Sie ihr gleich den Rücken einölen, wenn Sie wollen.«
»Selbstverständlich!«
»Nach und nach nehmen Sie uns hier die ganze Arbeit ab«, sagte die Schwester lachend. »Sie sind wirklich der einzige Ehemann, der sich so vorbildlich um seine Frau kümmert«, fuhr sie fröhlich fort, bevor sie sich wieder über Angela beugte: »Frau Röhrdanz, mit dem Mann haben Sie aber wirklich ins Schwarze getroffen!«
Angela blinzelte. Einmal.
»Gut, dass Sie das auch so sehen«, meinte die Schwester scherzhaft. »Sonst könnte ich Ihnen den glatt klauen!« Sie lachte wieder, und dann kamen noch zwei andere Schwestern herein. Mit vereinten Kräften drehte man Angela auf die Seite.
Das Krankenhaushemd klaffte an ihrem Rücken auseinander.
Mit schreckgeweiteten Augen starrte Röhrdanz auf ihre Haut.
Der ganze Rücken war schwarz.
E s folgten Wochen harten Trainings. Röhrdanz hatte heimlich einen Entschluss gefasst. Er würde Angela zu ihrem Baby bringen, ihr das Neugeborene an die Wange legen, damit sie einen Sinn darin sah, weiterzumachen. Nachdem er ihren Rücken gesehen hatte, war ihm klargeworden, was für eine Tortur es für Angela sein musste, nur zu liegen, lebendig eingemauert zu sein, aber jede Sekunde qualvoll bei wachem Verstand zu erleben. Das alles sprengte sein Vorstellungsvermögen. Doch jede
noch so kleine Bewegung, die sie schaffte, würde sie ihrem Ziel, eines Tages wieder sitzen zu können, näher bringen.
Professor Leyen, der mit Angela Zunge und Kehlkopf trainierte, damit sie irgendwann ein winziges Löffelchen Joghurt schlucken konnte, sah das genauso.
»Ja, sie braucht wieder neue Motivation. Wenn sie ihren Kleinen gesehen hat, wird sie einen weiteren Entwicklungsschub machen.«
Und so wurde Angela in einen riesigen Spezialrollstuhl gepackt, festgeschnallt und mit dem Krankenwagen nach Köln gefahren. Zu ihrem Baby.
Röhrdanz schob den sperrigen Rollstuhl mit seiner gelähmten Frau durch die Krankenhausflure, die Leute starrten ihnen nach. Hier in der Kinderklinik war man den Anblick einer Frau, die mit weit aufgerissenem Mund und starrem Blick verkrampft in einem riesigen Spezialrollstuhl lehnte - denn von Sitzen konnte ja keine Rede sein - wirklich nicht gewohnt.
Die anderen jungen Eltern, die ihre Frühgeborenen im Arm hielten und streichelten, schauten erschrocken herüber, als Röhrdanz seine Angela tapfer in die hinterste Ecke schob, wo Patrick in seinem Brutkasten lag.
Der junge Arzt, den Röhrdanz schon kannte, sah Angela an: »Das ist aber jetzt nicht die Mutter?!«
Röhrdanz antwortete nicht. Die erste Begegnung von Mutter und Kind machte ihm große Sorgen. Er war
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