Der Mann, der wirklich liebte
aufgeregt, seine Hände zitterten.
»So, mein Schatz. Hier ist dein Sohn. Patrick, das ist deine Mama.«
Sehr vorsichtig hob er mithilfe einer Schwester den noch immer winzigen Patrick aus seinem Wärmebettchen und legte ihn Angela auf den Schoß. Sie starrte an die Decke, wie immer.
Röhrdanz zog es schmerzhaft das Herz zusammen.
Angela konnte den Kopf nicht senken, den Blick nicht auf ihr Kind richten! Sie konnte die Hand nicht heben, wie es jede Mutter dieser Welt instinktiv getan hätte, um ihr Kind zu halten, zu beschützen, es daran zu hindern, von ihrem Schoß zu fallen!
Röhrdanz kniete vor ihren Beinen, hielt das kleine Bündel vorsichtig fest.
»Ich halte ihn, spürst du ihn, Angela? Er ist leicht wie eine Feder, er wiegt gerade mal zweitausend Gramm …«
Röhrdanz nahm den Winzling vorsichtig hoch und legte ihn zärtlich an Angelas Wange. Er hob das Köpfchen des Babys und hielt es an ihren Mund.
Sie konnte es nicht küssen. Sie konnte ihre Lippen nicht schließen. Durch ihren warmen Atem bewegten sich die kleinen Härchen des Babys wie eine winzige Blume im Wind. Angela liefen die Tränen aus den Augen. Das war ihre einzige Reaktion.
»Da, mein Herz. Du sollst ihn spüren, es ist dein Baby, um das du dir solche Sorgen gemacht hast. Du hast gedacht, es würde in deinem Bauch sterben. Du hast gefürchtet, es würde schwerbehindert sein. Schließlich hast du jedes Wort gehört, das die Ärzte gesagt haben. Aber du siehst ja selbst: Es lebt, mein Schatz. Du hast es geschafft, der kleine Bursche ist stabil!«
Er hob das Baby abermals hoch und hielt es vor die
starren Augen seiner Frau, die zur Decke blickten. »Da! Siehst du! Alles dran! Das hier sind Kabel und Schläuche, siehst du, am Kopf und an der Ferse. Aber der Arzt sagt, die braucht Patrick bald nicht mehr.«
Röhrdanz nahm ihre verkrampfte Hand, führte sie zum Gesicht des Babys und strich damit über die warme, weiche Haut.
»Ich weiß, ich halte es ungeschickt. Du kannst das wahrscheinlich gar nicht mit ansehen, denn obwohl ich fünffacher Vater bin, ist dieses Würmlein hier doch ganz besonders zerbrechlich. Du würdest das viel besser machen, so wie du auch mit Denise und Philip viel geschickter umgegangen bist als ich …«
Ihre Tränen flossen unablässig.
»Aber ich tu mein Bestes, glaub mir. Ich habe schon so viel dazugelernt, seit du …« Er schluckte.
Die anderen Menschen im Raum schauten unablässig herüber, aber das war Röhrdanz egal. Es war einer der berührendsten Augenblicke in seinem Leben. Er war erfüllt von Freude und Trauer zugleich und wusste, dass Angela diese Gefühle um ein Vielfaches stärker empfand.
Wie grausam musste es für sie als junge Mutter sein, ihr Kind nicht selbst in die Arme nehmen zu dürfen, es nicht an sich drücken, küssen und mit ihm schmusen zu können. Wie entsetzlich musste es für sie sein, das Kind nicht ansehen zu können.
Als das Würmlein anfing zu krähen, kam die besorgte Kinderschwester und nahm es Röhrdanz behutsam ab. »Es muss wieder in sein Wärmebettchen …«
Sie warf Angela einen verlegenen Blick zu.
»Komm, Angela. Wir fahren zurück.«
Entschlossen wendete Röhrdanz den sperrigen Rollstuhl und rangierte ihn zwischen den Brutkästen und Kinderbettchen hindurch zum Fahrstuhl.
»Ich hoffe, es hat dich nicht zu sehr mitgenommen, aber jetzt hast du dein drittes Kind gesehen.«
Er tupfte ihr noch einmal die Tränen ab, hüllte sie fürsorglich in ihre Decke und schob sie unter Aufbietung all seiner Kräfte über den Parkplatz. Dort stand der Krankenwagen, zwei Pfleger lehnten rauchend an dem Fahrzeug.
Da hörte Röhrdanz hinter sich eilige Schritte: »Hallo! Hallo Sie! Bleiben Sie bitte mal kurz stehen.« Röhrdanz drehte sich um. Ein älterer Arzt kam mit wehendem Kittel hinter ihnen hergerannt. »Ich bin Dr. Teubner, der Chefarzt der Kinderklinik. Mein Kollege von der Frühgeborenenstation hat mir gerade von Ihnen erzählt.«
Röhrdanz blieb abwartend stehen. »Ja. Und?« »Darf ich fragen, an welcher Krankheit Ihre Frau leidet?«
»Locked-in-Syndrom.«
»Ähm … seit wann?«
»Seit vier Monaten.«
Der Arzt starrte ihn an, seine grauen Haare wehten im Aprilwind, hinter ihm bogen sich die Bäume.
»Das würde ja bedeuten, dass sie …« Er beugte sich vor und schaute Angela ins Gesicht.
»Kann sie mich hören?«
»Ja. Sprechen Sie mit ihr. Meine Frau mag es nicht, wenn man in der dritten Person über sie redet.«
»Das heißt, dass Sie das Kind in
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