Der Mann, der wirklich liebte
verstummte. »Ich darf Ihnen keine falschen Hoffnungen machen.«
»Es gibt keine falschen Hoffnungen«, widersprach Röhrdanz. »Die Hoffnung ist das Einzige, was Angela am Leben hält. Die Hoffnung und die Liebe.«
»Es ist eine Tagesklinik, Herr Röhrdanz. Das heißt, die Patienten gehen abends NACH HAUSE.«
»Ja«, sagte Röhrdanz. »Nach Hause. Da gehört sie hin.«
»Sie kann sich nicht bewegen. Sie kann nicht schlucken. Sie kann sich nicht artikulieren. Sie kann sich nicht selbst drehen«, zählte Professor Leyen an seinen Fingern auf, als ob Röhrdanz das nicht selbst wüsste. »Sie braucht jede Stunde eine Heparin-Spritze. Sie muss künstlich ernährt werden. Man muss ihr den Schleim absaugen.« Er hielt inne, weil ihm die Luft ausging. »Sie haben drei kleine Kinder, darunter ein Risikobaby, das monatelang im Brutkasten lag. Wie um alles in der Welt wollen Sie das schaffen?«
»Es gibt drei Dinge, die mir die Kraft dazu geben«, antwortete Röhrdanz schlicht.
Er richtete seinen Blick auf Professor Leyen, der auf die Schreibtischkante gesunken war und sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn wischte.
Wieder fielen ihm die drei Worte ein, die ihm über die letzte Zeit hinweggeholfen hatten. Sie standen irgendwo in der Bibel, und der Pfarrer hatte sie auf seiner Hochzeit gesagt:
»Glaube, Hoffnung, Liebe.«
Professor Leyen nickte. Diese Worte kamen ihm bekannt vor.
»Also gut. Ich sehe, was ich tun kann.« Der Professor griff zu einem Aktenordner und blätterte darin. »Der Chefarzt dieser Tagesklinik ist zwar nicht gerade mein bester Freund …«
Er fuhr mit dem Zeigefinger eine Telefonliste entlang. »… aber vielleicht weckt eine Komapatientin, die ein gesundes Kind geboren hat, sein Interesse.«
Röhrdanz sah ihn wenig begeistert an. »Der scheint mir aber nicht sehr sympathisch zu sein …«
»Der Mann ist okay, und es ist unsere einzige Möglichkeit, Ihre Frau vor der Klinik in Bad Godesberg zu retten.« Mit einem Ruck klappte Professor Leyen den Aktenordner zu und sah Röhrdanz über den Brillenrand prüfend an: »Ich rufe den Kollegen von der Tagesklinik an. Aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, was für eine Verantwortung Sie da übernehmen.« Er griff zum Hörer und wählte.
Ja, nickte Röhrdanz dankbar.
D r. Roth war ein temperamentvoller Mann mit eng stehenden grauen Augen und spitzem Kinn. Er war etwa Ende vierzig, hatte filigrane Hände und einen hervorstehenden Adamsapfel, der ständig in Bewegung war.
Der ganze Mann erschien Röhrdanz hyperaktiv. Alles, was er sagte, unterstrich er mit theatralischen Gesten wie ein Dirigent, der ein riesiges Orchester zu bändigen versucht. Er hatte etwas Selbstgefälliges, aber eines musste Röhrdanz ihm lassen: Er untersuchte Angela lange und gründlich. Kurzum: Er gab sein Bestes.
Er allein hatte über ihr weiteres Schicksal zu bestimmen, und Röhrdanz kam es so vor, als würde Dr. Roth sich selbst eine kleine Sensation gönnen, als er schließlich theatralisch beschied: »Sie kann morgen früh um acht Uhr wiederkommen.«
»Na großartig«, seufzte Röhrdanz, dem ein ganzer Sack Zement vom Herzen fiel.
Er hatte nervös auf dem Flur gewartet, denn es war ungewohnt für ihn, dass der Arzt ihn nicht mit einbezog, wie es Professor Leyen vom ersten Moment an getan hatte.
»Und was kommt hier auf meine Frau zu?«, wagte er dennoch zu fragen.
Dr. Roth sah ihn wohlwollend an und leierte in medizinischem Fachchinesisch herunter: »Hemmung und Abbau pathologischer Haltungs- und Bewegungsmuster, Koordination, Umsetzung und Integration von Sinneswahrnehmungen, Verbesserung der zentral bedingten Störungen von Grob- und Feinmotorik zur Stabilisierung sensomotorischer und perzeptiver Funktionen einschließlich der Verbesserung von Gleichgewichtsfunktionen,
neuropsychologischen Defiziten und Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Konzentration, Merkfähigkeit, Handlungsplanung, Erfassen von Raum, Zeit und Personen. Das Erlernen von Ersatzfunktionen, Entwicklung und Verbesserung der emotionalen Fähigkeiten in den Bereichen der emotionalen Steuerung, der Affekte oder der Kommunikation, Training von Alltagsaktivitäten im Hinblick auf häusliche Tätigkeiten wie den Gang zur Toilette oder das selbstständige Ausspucken, Ergotherapie nach Perfetti, Bobath, Affolter, Feldenkrais oder Castillo Morales. Und natürlich Logopädie - also Schluck- und Sprechtraining. Ihre Frau kann sich ja aufgrund von
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