Der Mann, der wirklich liebte
drücken, hörst du?«
Die Antwort war ein Hupen.
»Was hast du denn?«
Ein Blick genügte, und Röhrdanz wusste Bescheid. Da war eine Fliege, die um die Deckenlampe herumsummte! Einer von Angelas größten Albträumen war der, dass ihr wieder ein Insekt in Mund oder Nase krabbeln würde. Sie konnte es nicht verscheuchen, weder mit den Händen noch mit dem Mund.
Dieses Horrorszenario kannte Röhrdanz noch aus dem Krankenhaus.
Sofort sprang er mit einer Zeitung bewaffnet auf die Küchenbank und jagte die Stubenfliege, bis er das strampelnde Insekt schließlich erlegt hatte. Angela liefen die Tränen aus den Augen.
»Da-he!«
»Ist ja alles wieder gut, Liebes. Ist ja alles wieder gut.« Röhrdanz zitterte vor Erschöpfung, es kam ihm vor, als hätte er ein wildes Tier erschlagen. Und genau so war es ja auch: An dieser »harmlosen« Stubenfliege, die er nun in den Abfalleimer warf, hätte seine Frau in einem unbeobachteten Moment genauso ersticken können wie an dem winzigen Stückchen Gulasch, das ihr im Hals stecken geblieben war.
Zum Trost setzte Röhrdanz seiner Frau Patrick auf den Schoß. Er nahm ihr behutsam die Hupe weg, führte ihre Hand zu Patricks Gesicht und ließ ihre zitternden Finger über seine weiche Haut streicheln. Der Kleine vermochte Angela bei Angst und Niedergeschlagenheit auf wundersame Art zu trösten.
»Ich gehe jetzt zu Denise und Philip und lese die Geschichte zu Ende. Und du bleibst hier mit Patrick solange sitzen. Passt gut auf euch auf, ihr beiden!«
Wäre sie nach Bad Godesberg in die Komaklinik gekommen, dachte er, wäre sie längst tot.
Aber sie wird eines Tages richtig zu uns zurückkehren. Ich weiß das. Jede Mutter will zu ihren Kindern zurück. Das ist ein Naturgesetz.
Im Weggehen drehte er sich noch einmal zu Angela um. Er sah ihre Tränen auf Patricks Gesicht tropfen. Der kleine Kerl saß erstaunlich ruhig auf Angelas Schoß. Erleichtert ging Röhrdanz ins Kinderzimmer, um Philip und Denise den Rest ihrer Gutenachtgeschichte vorzulesen.
» W ie lange willst du das eigentlich noch durchhalten?« Richard, sein Chef, stand besorgt neben dem Aufzug, als Röhrdanz morgens im Büro erschien. »Ich habe dich vom Fenster aus beobachtest. Wie du aus dem Auto steigst. Du krümmst dich vor Schmerzen. Weißt du eigentlich, wie du aussiehst? Leichenblass, von deinen schwarzen Ringen unter den Augen einmal abgesehen. Du siehst aus wie der Tod.«
»Tut mir leid«, stieß Röhrdanz zerknirscht hervor. In letzter Zeit hatte er ziemlich nah am Wasser gebaut, und er wollte vor seinem Chef nicht losheulen. Natürlich kam er auch heute wieder über zweieinhalb Stunden zu spät. Patrick hatte wegen Windpocken zum Kinderarzt gemusst, und Denise hatte ihn vor dem Schultor nicht gehen lassen.
»Komm doch mal zu mir ins Büro.« Richard hielt ihm einladend die Türe auf. Seine Vorzimmerdamen wies er an: »Jetzt bitte keine Anrufe durchstellen!«
Mit hängenden Schultern schlich Röhrdanz hinter seinem Vorgesetzten her. Wenn er ihm jetzt kündigen würde, war es endgültig aus mit ihm. Dann konnte er sich die Kugel geben.
Er würde es seinem Chef noch nicht mal verübeln können … Bei allem Verständnis … Seit drei Jahren arbeitete er unregelmäßig und musste oft vertreten werden, sosehr er sich auch bemühte, den Anforderungen seines Jobs gerecht zu werden. Aber es hatte offensichtlich nicht gereicht.
»Setz dich«, wies Richard ihn an. Die aufsteigenden Tränen seines leichenblassen Mitarbeiters ignorierend, machte er sich an einem Aktenschrank zu schaffen und förderte zwei Gläser und eine angebrochene Flasche Whisky hervor.
»Am frühen Morgen?«, wehrte Röhrdanz ab. »Ich hab noch nicht mal gefrühstückt!«
»Es gibt Situationen, in denen frühstücken Männer Whisky«, antwortete Richard. »Ich habe dir nämlich etwas mitzuteilen.«
Also doch. Dieser Satz traf Röhrdanz wie ein Magenschwinger.
Wir sind kein Wohltätigkeitsverein, hörte er Richard schon sagen. Wir sind ein florierendes Unternehmen.
»Ich bin gefeuert.« Röhrdanz wagte gar nicht mehr aufzublicken. »Das war ja zu erwarten.«
Zu seinem Erstaunen hörte er, wie Richard die beiden
Gläser leise aneinanderklirren ließ: »Das glaubst du ja wohl selbst nicht, Mann. Prost!«
»Nein …?«
»Du bist einer meiner besten Mitarbeiter! Selbst in den letzten schweren Jahren hast du mich noch nie enttäuscht!« Der Chef drückte dem verdutzten Röhrdanz mit sanfter Gewalt das Glas in die Hand: »Und jetzt
Weitere Kostenlose Bücher