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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Wahnsinnshaushalt tun können. Nie mehr dem Brüllen und Schreien seiner Kinder Einhalt gebieten können.
    Da kroch von oben ein schmaler Lichtschein durch das Dunkel des Flurs, wie ein Hoffnungsschimmer von irgendwoher, und er hörte Olivers Stimme zu ihm herunterschallen: »Papa! Sie atmet wieder! Papa! Sie hat’s ausgespuckt! Papa! Du kannst raufkommen, es ist alles in Ordnung!«

30
    Nach diesem grauenhaften Erlebnis, das Röhrdanz bis in seine Träume verfolgte, konnte er nicht aufhören, sich entsetzliche Vorwürfe zu machen. Per Buchstabentafel hatte Angela ihm später mitgeteilt, dass sie schon »das weiße Licht gesehen« habe und dass es »schön« gewesen sei. Nur wegen der Kinder sei sie noch einmal zurückgekommen. Sie habe sich »warm und geborgen« gefühlt in der »anderen Welt«, aber gespürt, dass ihre Zeit noch nicht gekommen sei.
    »Du brauchst für solche Notfälle irgendwas, womit du dich bemerkbar machen kannst«, stellte Röhrdanz entschlossen fest. »Um Hilfe rufen kannst du nicht, und ich schaffe es nicht, dich jede Sekunde im Auge zu behalten. Nicht bei drei kleinen Kindern.«
    Er musste sich abwenden, um seine aufsteigenden Tränen zu verbergen. »Sosehr Oliver mir auch hilft. Auch deine Mutter kann nicht Tag und Nacht in unserer kleinen Wohnung herumwuseln, da werde ich wahnsinnig. Du weißt, wie sehr ich Helga schätze, und ohne sie wären wir aufgeschmissen.« Er schluckte einen riesengroßen Kloß herunter. »Aber wir haben auch so schon zu wenig Platz in der Wohnung, es ist alles ein entsetzliches Chaos hier …« Er hob wahllos ein paar herumliegende Wäschestücke, Kinderspielzeug, abgegessene
Teller und leere Becher hoch, bevor er sie wieder fallen ließ. Trotz seiner Bemühungen, alles halbwegs sauber zu halten, wurde er den schier übermenschlichen Anforderungen dieses »Alltags« nicht mehr Herr. Er fühlte sich wie Sisyphos, der dazu verdammt ist, bis in alle Ewigkeit einen schweren Stein den Berg hinaufzurollen. Wieder musste er mitten im Satz abbrechen, um nicht loszuheulen. Er hatte seine Angela unbedingt zu Hause haben, seine Kinder um keinen Preis in fremde Hände geben wollen. Er hatte seinen Job nicht aufgeben wollen. Wie denn auch - wo ihn die Miete und andere Fixkosten für die siebenköpfige Familie schier auffraßen.
    »Ich habe gedacht, wir packen das. Aber wir packen es nicht. Ich will dich aber nicht in dieses Heim für Komapatienten stecken, denn da gehst du mir zugrunde …« Er wischte sich die Tränen und den Schweiß mit dem Hemdsärmel ab.
    »U-he!«
    »Ruhe? Du meinst, ich soll Ruhe bewahren? Bist du sicher, dass das ein guter Ratschlag ist?«
    Angela blinzelte unter Tränen heftig mit den Augen, was immer hieß, dass sie ihm etwas Wichtiges mitteilen wollte.
    Also zog Röhrdanz die Buchstabentafel hervor. Sie lag auf der Heizung, unter einem Stapel Kinderbilderbüchern, Brettspielen und alter Zeitungen.
    »H-U-P-E«, lautete ihre Botschaft, die Röhrdanz nach mehreren Fehlversuchen schließlich entzifferte. Es war wieder mal weit nach Mitternacht, der einzige Zeitpunkt,
zu dem ein so zeitraubendes Unterfangen wie diese »Unterhaltung« mit seiner Frau überhaupt möglich war.
    »Hupe?« Röhrdanz kratzte sich fragend am Kopf. »Ach, jetzt weiß ich, was du meinst! Du kannst die Finger bewegen, und wenn wir dir so eine Fahrradhupe wie an Denises Kinderfahrrad in die Hand drücken, kannst du dich im Notfall immer bemerkbar machen.«
    Angela zwinkerte einmal für »Ja«.
    »Das ist eine geniale Idee, Liebste!« In Röhrdanz’ Augen funkelte schon wieder ein Hoffnungsschimmer. »Wir lassen uns nicht unterkriegen. Gleich morgen früh geht Oliver in ein Spielzeuggeschäft und kauft dir so ein Ding. Dann kann uns so eine furchtbare Katastrophe nie mehr passieren.«
    Aufseufzend nahm Röhrdanz seine Angela in den Arm. »So, und jetzt bringe ich dich ins Bett. Meinst du, wir schaffen das noch mit der Toilette?«
     
    D ie Idee mit der Hupe funktionierte tatsächlich. Oliver hatte die letzte noch vorrätige Kinderfahrradhupe im Spielzeugladen erstanden, und nun lag der kleine schwarze Gummiball in Angelas verkrampfter Hand. Sie »übte« offensichtlich fleißig das Zusammendrücken der Finger, denn ab sofort hupte es so ziemlich ununterbrochen aus der Küche, wo sie in ihrem Rollstuhl neben der Heizung saß.
    Röhrdanz, der gerade bei den Kleinen am Bett gesessen hatte und die eingeforderte Gutenachtgeschichte vorlas, schoss sofort herbei.

    »Nur im Notfall

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