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Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry

Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry

Titel: Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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nickte grübelnd. Er zog mechanisch sein Notizbuch hervor. Ungeduldig begann er mit dem Bleistift zu spielen. „Schildern Sie mir noch einmal den Ablauf der letzten Nacht vor der Hinrichtung Joseph Hattans“, murmelte er. „Wer war außer Ihnen noch in der Zelle? Wer nahm Kontakt mit dem Gefangenen auf?“
    Spencer Willow dachte nach. „Es begann abends um sechs Uhr“, murmelte er, „da kamen der Gefängnisdirektor und ein Lordrichter in die Zelle. Sie hatten eine Vollstreckungsurkunde bei sich. Sie teilten Joseph Hattan mit, daß er am nächsten Morgen um sechs Uhr hingerichtet werde.“
    „Wie nahm Joseph Hattan diese Nachricht auf?“
    „Er lachte, Sir!“
    Kommissar Morry nickte. „In Ordnung. Das paßt zu ihm. Genauso habe ich ihn gekannt. Berichten Sie weiter!“
    „Der Gefängnisdirektor fragte Joseph Hattan, ob er noch einen besonderen Wunsch hätte? Ob er zum Beispiel einen Brief schreiben wolle?“
    „Und wie äußerte sich der Delinquent?“
    „Er hatte nicht viele Wünsche. Er wollte lediglich um vier Uhr morgens seine Henkersmahlzeit serviert bekommen. Er hatte Angst, mit leerem Magen zum Galgen gehen zu müssen.“
    „Was bestellte er sich?“
    „Entenbraten mit Klößen. Er hatte sich seit Wochen auf dieses Essen gefreut. Um so erstaunter war ich, als er es dann ablehnte. Er sagte, ich solle die Mahlzeit einem anderen Gefangenen schenken.“
    Morry hob rasch den Kopf. Der erste Argwohn begann in seinen Augen aufzuglimmen. Prüfend blickte er den Aufseher an. „Erzählen Sie weiter, Mr. Willow“, murmelte er abwesend.
    „Als der Gefängnisdirektor und der Lordrichter gegangen waren, bezog ich die Zelle, um die ganze Nacht bei Joseph Hattan zu verbringen. Wir ließen das Licht brennen. Ich unterhielt mich mit ihm.“
    „Wie oft haben Sie während der Nacht die Zelle verlassen?“
    „Dreimal, Sir!“
    „Wann war das?“
    „Das erstemal ging ich hinaus, als der Gefängnisarzt kam. Er wollte den Delinquenten untersuchen, ob er gesund und tauglich zur Hinrichtung sei.“
    „Gut. Weiter!“
    „Das zweitemal verließ ich den Raum, als der Priester erschien. Er nahm Joseph Hattan die Beichte ab. Er betete mit ihm. Er versuchte, ihn zu trösten.“
    „Wie lange blieb er?“
    „Nur ganz kurz, Sir. Keine zehn Minuten.“ Morry nickte. „Das könnte stimmen“, meinte er. „Joseph Hattan wollte nie viel von einem Vertreter der Kirche wissen. Es ist auch verständlich. Er war einem Tier ähnlicher als einem Menschen.“
    „Das drittemal“, sagte Spencer Willow, „ging ich aus der Zelle, um eine Tasse Tee für den Gefangenen zu holen.“
    „Was sagen Sie da?“ fragte Morry auf horchend.
    „Joseph Hattan bat mich, ihm eine Tasse Tee zu bringen.“
    Kommissar Morry klappte energisch sein Notizbuch zu. „Diese Tasse Tee ist entscheidend“, sagte er hastig. „Davon hätten Sie mir schon das letztemal erzählen sollen. Dann wären wir heute bereits entschieden weiter.“
    „Aber wieso denn, Sir?“ stotterte Spencer Willow verblüfft. „Was hat denn der Tee zu besagen?“
    Kommissar Morry gab keine Antwort mehr. Er hatte es auf einmal merkwürdig eilig, aus dem düsteren Bau wegzukommen. Er ging in das Verwaltungsgebäude hinüber. Er ließ sich die Personalakten von Joseph Hattan geben. Eine Stunde später fuhr er nach Clerkenwell, wo Joseph Hattan aufgewachsen war. Er unterhielt sich mit Milchfrauen, mit altgedienten Polizisten und Obsthändlern. Er fragte sie nach Joseph Hattan aus. Er wollte alles über ihn wissen. Er konnte nicht genug bekommen. Dafür erntete er aber auch einen großen Erfolg. Am Abend dieses ereignisreichen Tages war das unergründliche Rätsel für ihn so gut wie gelöst.
     
    17
     
    Am Stammtisch in der Sidney Bar herrschte an diesem Abend flaue Stimmung. Obwohl zahlreiche Flaschen, Teller und Schüsseln auf der Tischplatte standen, wollte keine heitere Laune aufkommen. Percy Coogan starrte immer wieder zur Tür. Sooft sie sich öffnete, belebte sich sein Blick. Im nächsten Moment folgte tiefste Enttäuschung.
    „Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen“, murmelte Clift Murray, als die Uhr die zehnte Abendstunde zeigte. „Es ist das erstemal, daß Jack uns warten läßt. Ich kann das nicht verstehen. Wo, zum Teufel, treibt er sich herum?“
    „Vielleicht hat er sich still und heimlich aus dem Staub gemacht?“ brummte Puck Gravel mit dröhnendem Baß. „Er wird von Douglas Woodbrook eine Menge Geld kassiert haben. Wäre doch möglich, daß er

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